Gaster / See, Glarus
Voyage - Voyeur mit dem Glarner Künstler MARCK
„Voyage – Voyeur“ unternimmt mit sechs Kunstschaffenden - einer davon ist der Glarner MARCK - eine Reise in die Sinnlichkeit. Die Ausstellung in der IG Halle Rapperswil umfasst Zeichnung und Malerei, Fotografie, Video und Installation. In einigen Werken, vor allem bei MARCK, steht die voyeuristische Sicht provokativ im Fokus.
Bei „Voyage“ geht es um das Reisen, bei „Voyeur“ um das heimliche Beobachten unwissender Personen in ihrem Sexualverhalten. Es ist eine Form der Sexualität, bei der jemand andere Menschen nach eigenen Vorlieben unbemerkt beobachtet und dadurch erregt wird. Untersuchungen zeigen, dass rund 70 Prozent der Männer gerne in der Rolle des Voyeurs sind. Bei den Frauen liegt der Anteil bei rund 40 Prozent, wie das Magazin "Der Spiegel" in einer Umfrage erhoben hat.
Kurator Guido Baumgartner, Leiter der IG Halle, hat fünf Frauen und einen Mann zur Ausstellung eingeladen. Die Kunstschaffenden unternehmen eine Reise in die Sinnlichkeit. Die Ausstellung bewegt sich zwischen voyeuristischen Situationen und vielschichtigen Empfindungen. Dabei stellt sich die Frage: Was bedeutet Sinnlichkeit? Die sinnliche Wahrnehmung oder die Empfindungen einer Person sind Teil der Informationsaufnahme und ist der Gegenpol zur Intuition, als abstrakte Wahrnehmung. Die Informationsverarbeitung und das Entscheidungsverhalten geschieht entweder über die Gefühle oder das Denken. Diese Gegenüberstellung entspricht der Typologie von C.G. Jung, die empirisch mehrfach bestätigt ist. Die Ausstellung holt das Publikum bei den visuellen und akustischen Eindrücken ab und bietet eine breite Vielfalt von Zugängen zur Thematik.
MARCK als „Quotenmann“ der vertretenen Kunstschaffenden geht unmissverständlich mit dem Thema um. Er positioniert bei seinen Videoskulpturen schöne Frauen im Zentrum der Betrachtung. Die Besucher der Ausstellung sind in der Rolle des Voyeurs und schauen quasi durch das Guckloch auf die Objekte der Begierde. Bei der Arbeit von MARCK geht es nicht in erster Linie um Sexismus. Er beschäftigt sich seit einiger Zeit mit der Isolation der Rolle der Frau und entwickelt, aus seiner klaustrophobischen Position, einfallsreiche und überraschende Bilderwelten.
Der biografische Hintergrund von MARCK ist für das Verständnis seiner Arbeiten zentral. Es geht um die intensive Auseinandersetzung mit Filmen und Videos, multimediale Projekte, Performances, Musik und skulpturale Objekte. Ausschlaggebend für die Videoskulpturen war seine Unzufriedenheit mit der langweiligen Präsentation von Filmen auf Monitoren. Er hat diese umgebaut und Leben eingehaucht. Seine Arbeiten stehen für die Urängste der Menschen. Die Angst zu scheitern, eingesperrt zu sein oder gar sterben zu müssen, sind Fragestellungen, denen sich MARCK in künstlerischer Art stellt.
Die Arbeiten setzen sich mit den Menschen und ihren Gefühlswelten auseinander. In seinen Werken sind Prinzipien erkennbar, die sich wiederholen. Die Arbeiten folgen bewegter Kunst; Bewegung und Kinetik. Beide Bewegungsarten werden zu einer Form von Bewegung zusammengeführt. Die Arbeiten von MARCK haben eine eigene Handschrift, sind unverwechselbar, getragen von hoher Qualität des handwerklichen Könnens. Den Arbeiten wird das Irreale, Traumhafte und Magische verliehen. Seine nächste Ausstellung findet im Juli 2021 in Taipe, Taiwan statt: https://blueriderart.com/en.
Sonja Lackner setzt sich in ihrem Kunstschaffen mit einem erweiterten Körperbewusstsein auseinander, welches mit dem vom Verstand geprägten Leben in Konkurrenz steht. Ausgangspunkt ihrer Arbeiten ist der eigene Körper. Die Haut, unser grösstes Organ, ist die Abgrenzung zwischen Aussen- und Innenleben. Auf dieser Haut entstehen taktile Empfindungen, die – nebst den übrigen sinnlichen Wahrnehmungen – für das Körperbewusstsein von grosser Bedeutung sind. Die Erweiterung der Wahrnehmungen über das verstärkte Körperbewusstsein schafft Raum für Illusionen oder Träume, die aus dem Unterbewussten steuernd und lenkend in unser Bewusstsein eingreifen. Auch in unseren kulturellen Vorstellungen findet die Emotionalität ihren Platz. Ihre Federinstallation in flauschigem Rosa gehalten entspricht einem erotischen Vokabular. Anders werden ihre Videos erlebt, die mit ihren Titeln, beispielsweise „Flow of Life“ oder „Lightness“ von einer genussvollen Leichtigkeit zeugen.
Clio Newton zeigt fotorealistische Portraits. Es handelt sich um präzise Kohlezeichnungen, ohne fotografische Vorlage auf grossen Formaten. Die schönen, jungen Frauen scheinen ihren Platz in der Gesellschaft zu suchen, ohne dass Erwartungen aus der Vergangenheit erfüllt werden müssen. Die monumentalen Darstellungen sind feinfühlig gemacht und erfassen die Persönlichkeit der jungen Menschen. Die Präsenz der Arbeiten haben eine starke Wirkung und doch kann sich der Betrachter*in fragen, was steck hinter den schönen Gesichtern? Ich habe mich an die Weisheit der Wahrnehmung erinnert, die uns lehrt, dass wir nur wissen, was wir sehen oder nur sehen, was wir wissen. Die Betrachter der perfekten, sensiblen Arbeiten können ihre Projektionen in die präsentierten Arbeiten machen oder eine Selektion des Wahrgenommen vornehmen. Es ist und bleibt ein Geheimnis, was in den gezeigten Portraits steckt.
Janet Muellers Zeichnungen in Tusche und Grafitstift umreissen Körperhaltungen und Gesten. Über die Körperhaltung der Körpersprache werden Gefühle sichtbar, die auf die exponierten Positionen der Frauen in unserer Gesellschaft Bezug nehmen. Der Körper lügt nicht und die Körpersprache sendet Botschaften auf der Ebene der Emotionen, die zeitlich dem gesprochenen Wort immer vorausgeschaltet sind. Sympathie oder Antipathie wird zum grössten Teil in der Kommunikation über das Gesicht, die Mimik, transportiert und ist wichtiger als das, was eine Person tatsächlich gesprochen hat. Wichtig beim gesprochenen Wort ist der Tonfall – „der Ton macht die Musik“ – der ebenfalls eine höhere Priorität, beim Erzeugen von Sympathie und Antipathie, einnimmt. Janets Zeichnungen streifen den urteilenden Blick von Aussen ab und konzentrieren sich auf den persönlichen, emotionalen Ausdruck und der Suche nach einer persönlichen Weiblichkeit.
Die Malerei von Annatina Graf zeigen Szenen aus dem Alltag. Sie sind zum Teil unscharf und manchmal vom Licht aufgelöst. Sie schafft einen Eindruck darüber, wie unsere Wahrnehmung funktioniert. Wahrnehmung ist selektiv, projektiv, vielschichtig und durch den Filter der Erinnerung sucht die Wahrnehmung nach Sinn- und Gestaltgebenden Momenten. Die Arbeiten basieren auf Fotografien aus dem privaten Umfeld. Momente aus dem Familienleben, Intimität oder Geborgenheit lösen einander ab. Die Kostbarkeit und Vergänglichkeit des sinnlichen Lebens wird mit einer speziellen Farbgebung transportiert. Die Serie „Nightlife“ ist in Hell-Dunkel gehalten und ein warmes Ocker verleiht den Szenen eine emotionale Qualität.
Helena Wyss-Scheffler löst mit ihrer Malerei ein Gefühl von Intimität aus. Dies geschieht über die Darstellung von Innenräumen, bei welchen Möbel, Fenster oder Kleidungsstücke gegenständlich hervortreten. Damit wird ein Raumgefühl geschaffen. Wie eine Haut bilden die spiegelnden oder von Mustern bedeckten Flächen eine Transparenz zwischen Aussen und Innen, Privat und Öffentlich oder zwischen Gegenwart und Erinnerung. Eine besondere Funktion kommt den Textilien zu. Stoff als Hülle, Schmuck oder Schutz bringt unser Körperbewusstsein zum Ausdruck sowie unser persönlich und kulturell geprägtes Verständnis von Sinnlichkeit.
Als gesamter Eindruck der Ausstellung bleibt die sehr unterschiedliche Herangehensweise zu „Voyage – Voyeur“. Die Frauen betonen die Sinnlichkeit und das Körperbewusstsein. Der Mann geht mit starken, bewegten Bildern auf die Wahrnehmung der Weiblichkeit zu und stellt die soziale Rolle der Frau zur Diskussion, ohne dabei Sexismus zu verbreiten. Der Besucher*in wird mit unterschiedlichen Zugängen und Darstellungsweisen zum gleichen Thema konfrontiert. Die Herausforderung an die Flexibilität der eigenen Wahrnehmungen und der Hinterfragung tradierter Rollenbilder sind hoch, aber von starkem Interesse. Eine gute Gelegenheit eigene, tradierte Wahrnehmungen aus Fixierbildern, zu hinterfragen und zu überprüfen.
Die Ausstellung dauert noch bis am 8. August 2021
ighalle.ch
Eduard Hauser
Autor
Kulturblogger Glarus
Link
Kontakt
Hauser Eduard
Blogger
Biäschenstrasse 10
8872 Weesen
hauser.eduard@gmail.com
079 375 81 99
Kategorie
- Gaster / See
- Glarus
Publiziert am
Webcode
www.glarneragenda.ch/9UN8Se