Kultur
Ein besonderer Schatz im Glarnerland
Nach zweieinhalb Jahren fand die Glarner Landsgemeinde am vergangenen Sonntag wieder statt. Sie ist eine der lebendigen Traditionen der Schweiz. Zu diesen gehören auch die Konsenskultur und die direkte Demokratie. Beheimatet sind die lebendigen Traditionen beim Bundesamt für Kultur. Anlass genug, um die direkte Demokratie von ihrer kulturellen Seite her zu betrachten.
Am offensichtlichsten ist der kulturelle Aspekt jeweils ganz am Anfang der Landsgemeinde. Dann begleitet die Harmoniemusik den Einmarsch auf den Zaunplatz. Wer Marschmusik mag, ist also schon mal bestens kulturell bedient. Am 3. Mai 2020, als die Glarner Landsgemeinde coronabedingt verschoben wurde, liess sich die Harmoniemusik Glarus etwas Besonderes einfallen und gestaltete ein Video als Ersatz für den Landsgemeinde(ein)marsch.
Kultur auf der Traktandenliste
Mit Kultur hat die Glarner Landsgemeinde manchmal auch bei den Traktanden selber zu tun: 2016 ging es um die Sanierung des Kunsthauses, 2017 um das Eidgenössische Schwing- und Älplerfest – kurz ESAF 2025. Um Letzteres ging es auch am Sonntag bei der Argumentation für den Ausbau der Netstalerstrasse, der für den sportlich-kulturellen Grossanlass nötig sei.
Am Sonntag waren auch andere kulturelle Themen unter den Traktanden zu finden. Der Freulerpalast Näfels erhält Geld für bauliche Massnahmen und für die Erneuerung der Textildruckausstellung im Museum des Landes Glarus. Bei der Debatte ging es um einen Lift, aber nicht um die Textildruckausstellung. Dabei ist es für Glarner:innen durchaus interessant, mehr über die Glarner Textilgeschichte zu erfahren und dadurch den hiesigen Unternehmergeist besser zu verstehen.
Pioniere am Werk
Vielleicht wurden die früheren Textilpioniere nicht von Anfang an verstanden. Vielleicht waren sie sogar «Spinner». Jedenfalls waren sie mutig und erfolgreich. Heute sind sie aus den Geschichtsbüchern und den Museen kaum mehr wegzudenken. Nebst dem Museum des Landes Glarus widmet sich auch das Glarner Wirtschaftsarchiv der Textilgeschichte. Zu ihr gehört zum Beispiel das Fabrikgesetz, das die Glarner Landsgemeinde 1864 beschloss. Es gilt als Meilenstein auf dem Gebiet des Jugend- und Arbeiterschutzes.
Auch heute sind potenzielle Glarner Pioniere am Werk – zum Beispiel junge Menschen, die im Kanton Glarus an der Landsgemeinde und den Gemeindeversammlungen schon ab 16 Jahren partizipieren. Junge Menschen beteiligten sich auch am 5. September 2021 aktiv.
Zum einen bei der Frage über die Abschaffung der Kirchensteuer für juristische Personen. Beide Seiten waren jung und gaben alles. Der Entscheid fiel für den Erhalt dieser Einnahmen für soziale Aufgaben der Kirchen. Zum anderen engagierten sich junge Menschen für mehr Klimaschutz und überzeugten die Landsgemeinde, das schweizweit weitreichendste Energiegesetz zu beschliessen.
Vielleicht sind solche Menschen irgendwann die, deren Namen in den Glarner Geschichtsbüchern und Museen auftauchen. Vielleicht auch nicht – ihr Ansporn ist es kaum. Und: Für Zeitgenossen spielt sich das Zeitgeschehen nicht unbedingt so ab, wie es später die Geschichte erzählen wird.
Lebendige Tradtionen prägen die Kultur
Jedenfalls steht das politische Engagement, das direkt mit den lebendigen Traditionen der Schweiz – also mit der Konsenskultur und direkten Demokratie sowie der Landsgemeinde – zusammenhängt, für die kulturelle Prägung der Menschen im Glarnerland.
Egal ob alt oder jung, links oder rechts, bürgerlich oder grün: Wer sich an der Landsgemeinde, an einer Gemeindeversammlung oder in einem Amt aktiv einbringt, setzt jede Menge seiner Zeit und Nerven ein, sucht Menschen, die ihr oder ihm bei der sorgfältigen Vorbereitung helfen, arbeitet ehrenamtlich in der Partei, im Verein, im Projekt – stets gemeinsam mit anderen – an Argumenten und am Vorgehen, hinterfragt laufend den ganzen Aufwand und sich selbst, motiviert die anderen oder wird von den anderen motiviert und muss die Kraft haben, auch Angriffe hinzunehmen, und damit rechnen, nicht zu gewinnen. Diese Leidenschaft macht viel aus, wenn es um die Kultur, Identität und Selbstverständlichkeit vieler Glarner:innen geht. Und diese Leidenschaft zählt vermutlich zu den grössten kulturellen Schätzen im Glarnerland.
Selbst die Landsgemeinde wird mit all ihren Vor- und Nachteilen ebenso traditionell, wie sie selber ist, immer und immer wieder mehr oder weniger breit in Frage gestellt. Wem die Erneuerung der Landsgemeinde wichtig ist, die oder der kann den Weg einschlagen, den viele politisch engagierte Glarner:innen gehen: Kein gemütlicher Weg, aber ein Weg der aktiven Partizipation. Ein gemeinsamer Weg mit Menschen mit ähnlichen Überzeugungen und mit gleicher Leidenschaft für die Kultur der direkten Demokratie im Kanton Glarus.
Autor: Werner Kälin, Ennenda
Autor
Kulturblogger Glarus
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