KLTheater Glarus1200973
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Das junge Liebespaar Klara und Fredi
Das junge Liebespaar Klara und Fredi
Theatermusik: Catherine Fritsche
Theatermusik: Catherine Fritsche
Lobrede der Gemeindepräsidentin
Lobrede der Gemeindepräsidentin

Glarus, Ostschweiz

Güllene oder güldene Zeiten?

Am Samstag, 26. Oktober, feierte das Theater Glarus mit der Glarner-Mundart-Fassung von „Der Besuch der alten Dame“ Premiere im Schützenhaus Glarus. Es gab Standing Ovations für die beachtliche Leistung. Die Inszenierung ist ein Augen- und Ohrenschmaus und gibt auch zu denken für die heutige Zeit.

Ein gutes Bühnenwerk trägt immer auch allgemeingültige, zeitlose Themen und Aspekte in sich. Und eine gute Inszenierung schafft es, diese so umzusetzen, dass sie für ein konkretes, an Raum und Zeit gebundenes Publikum bedeutsam werden. Darum durfte man gespannt sein, wie die Uraufführung der Glarnerdeutschen Mundartfassung des bald 70-jährigen modernen Klassikers „Der Besuch der alten Dame“ von Friedrich Dürrenmatt (übertragen durch Dodo Brunner), am 26. Oktober 2024 im Schützenhaus Glarus ankommt.

1973 stand das Werk schon einmal auf dem Spielplan des Theaters Glarus und hat, wie der Präsident des Vereins Maurizio Piva im Vorwort schreibt, offenbar nach Jahrzehnten noch bleibende Eindrücke hinterlassen. Leidenschaftlich vom Theatervirus infiziert ist auch die aktuelle 18-köpfige Crew der Mitwirkenden - darunter 13 Darstellende (die hier oft noch Mehrfachrollen einnehmen, da Dürrenmatt insgesamt 34 Personnages für sein Stück vorsah), dazu die Musikerin Catherine Fritsche sowie die Regie (Matthias Werder, Ladina Meili) und die Souffleusen (Ursi Bottega, Dodo Brunner). Auch schon mit einigen Kürzungen dauerte das Stück hier mehr als zwei Stunden – eine gewaltige Leistung, die entsprechend vom Publikum gewürdigt wird. Die beiden Hauptpersonen, das vormalige Liebespaar Alfred Ill und Klara Wäscher, sind übrigens doppelt, in ihrer jungen Version (Terence Wezel, Isabell Pankasz) und der älteren (Christoph Zürrer, Brigitte Felber) zu sehen. Die romantische Annäherung der Teenager – für die Glarner Version im geheimnisvollen Haltenwald statt im Konradsweilerwald verortet – wird als poetische pantomimische Szene der eigentlichen Handlung vorangestellt. Mit stimmungsvoller Beleuchtung und Musikuntermalung, in die sich aber bereits ein unterschwellig bedrohlicher Ton in die Saitenklänge schleicht. Die Tragik-Komödie nimmt ihren Lauf, als 45 Jahre später die verstossene Geliebte ihrem mittlerweile bankrotten Heimatdorf einen Besuch abstatten will. Da wird es wohl nicht nur Alfred Ill bang – es wurde zu gerne verdrängt, wie die minderjährige Schwangere nach einem unfairen Gerichtsprozess mit bestochenen Zeugen ihr Dorf mit Schimpf und Schande verlassen musste. Sie verlor das Kind, schlug sich als Prostituierte durch, bis ein reicher (heute würde man sagen) Oligarch sie heiratete. Und Ill – ja wie ill, krank – er krankt bis in die Gegenwart an seinem Frevel. Und die damals die aus materieller Berechnung geschlossene Ehe mit einer gutbetuchten Krämertochter des Dorfes hielt nicht was sie versprach. Ihn, den Ill, reinzuwaschen: Klara „Wäscher“ tut es nicht mehr, denn sie ist eine andere geworden, eine „Zachanassian“. Ein Kunstprodukt aus drei Milliardärs-Nachnamen (Zacharoff, Onassis, Gulbekian), wie auch „Claire“ zu einem Kunstprodukt „mutiert“ ist; eine geschundene Frau mit künstlichen Gliedmassen, die sich mit einem Gefolge zurechtgestutzter Kunstfiguren umgibt. So die geblendeten und kastrierten Diener Koby und Lobi (Lea Galli, Angelina Holdener), die austauschbaren Ehemänner und den Butler, einst Richter in der Anklage Ill/Wäscher. Eine Frau mit Talent für die besten Deals und der nötigen Skrupellosigkeit, ihre von langer Hand ausgeheckten Pläne umzusetzen. Hier das unsittliche Angebot: Eine Milliarde, wenn jemand Alfred Ill tötet. Vorher, über Jahrzehnte hat sie mit gezielten Aufkäufen dafür gesorgt, dass Güllen wirtschaftlich ruiniert wird. Eine halbe Milliarde für die Stadt, die andere auf alle Einwohnenden verteilt… Wie würden Sie entscheiden? Da wäre Güllen doch gleich geputzt und gestrählt… Gülden? Gold glänzt, aber…

Hier ein kleiner Zwischenhalt. Ein Rückblick. Ich lebte vor der Jahrtausendwende in einer hübschen, aber eher strukturschwachen Kleinstadt im Westmünsterland. Hier wurde ein Zwischenlager für radioaktive Abfälle aus Atomkraftwerken gebaut. Dafür gab es kräftig Strukturhilfe… ein neues Stadthaus, ein Schwimmbad, so erzählte man mir damals. Geld gegen Dreck – die einen in der Bevölkerung gingen auf die Strasse, gegen die sogenannten Castor-Transporte, aber es gab auch genügend andere oder wichtigere, die dafür waren. Man muss nur die richtigen Ansprechpartner für einen guten Deal finden, den Mangel ausnutzen, der irgendwo herrscht, oder Begierden wecken. Weltweit betrachtet: Westlicher Konsum- und Wohlstandsdreck, Altkleider, Plastik- und Elektronikabfälle werden nach Übersee „verkauft“. Die einen werden reich dabei, die meisten aber krank. In Berlin hat man gerade im Tiergartenquartier eine „Undercover“-Oligarchensiedlung entdeckt. Die Besitzer sind unkenntlich hinter Scheinfirmen in Steuer-Paradissen, niemand bewohnt diese Häuser, aber sie werfen viel ab für die Dealmaker auf beiden Seiten. Und auch Menschen können zum Deal werden, ihre Körper, ihre Organe, ihr Leben. Bei Verbrechen wird weggeschaut, wenn sie nur einträglich sind und es genug Möglichkeiten des Verschleierung gibt (Stichwort: Aktienhandel mit Lebensmittel-Spekulation oder Waffen). Schuldige sucht man vergebens. So auch bei Dürrenmatt: „Niemand will Alfred Ill umbringen“, aber es wäre doch gut, „jemand“ schritte zur Tat, am besten soll er sich selbst töten. Da er das aber nicht tut – die Gemeindepräsidentin (Angela Galli) drückt ihm ja unmissverständlich ein Gewehr in die Hand - muss es eben eine Gemeindeversammlung richten. Die fällt den „Beschluss“ zum Todesurteil, verklausuliert als Stiftungsgründung, und der edle Vermittler der Stiftung, Ill, umringt von seinen Fans, fällt kurz darauf tot um – Herzschlag infolge emotionaler Ergriffenheit, so der Arzt. 

Gab es Stellen, an denen die Handlung hätte abbiegen können? Der Pfarrer (Martin Bilger), der Lehrer (Maurizio Piva), sie wollen ihre Werte nicht verraten, versuchen zu warnen, Ill zur Flucht anzustiften, sie schaffen es nicht. Die Polizei (Sara Hegner) und der Richter (Ulli Panning), sie könnten helfen, sehen aber keinen konkreten Anlass dazu. Sie warten ab, auch die alte Dame wartet… Der Sarg steht bereit, ein frischer Kranz kommt dazu. Und sogar Ills Familie, seine Frau (Christine Mühlemann) und Tochter (Joline Galli) lassen den Dingen freien Lauf, sie freuen sich an neuen, auf Kredit gekauften Kleidern und Reichtümern.

In welchen Zeiten leben wir, hier und heute? Dürrenmatt deutete es an: „Es werden noch viele alte Damen zu euch kommen…“ Wo denn? Es gilt wachsam zu bleiben. In Dürrenmatts Stück schafft das nicht einmal die Presse, welche unkritisch die offizielle Lesart der Güllener übernimmt. Rechtsprechung und Exekutive, Bildung, Kirche, Medien, Familie und Freunde, ja sogar die sprachliche Deutung (in Form von antik inspirierten Sprechchören) – sie alle haben versagt, reden ihre Tat schön, während sich die graue in eine prächtige Stadt verwandelt. Phrasen, Blendwerk. Wo, an welcher Stelle in unserer Gesellschaft, sollten wir präsent sein und aufhorchen – wie auch die eigens für diese Inszenierung geschaffene Musik immer wieder aufhorchen lässt? Auf unterschwellige Zwischentöne, krasse Missklänge oder unerwartete Melodien? Hoffnung ist immer da. Und Freude – denn in diesem Moment ist etwas Wunderbares gelungen. Hier konnte ein Stück Wahrhaftigkeit erlebt werden. Dafür ist Theater, ja Kunst überhaupt, da. Grosser Applaus für die Schauspielenden, insbesondere für die hervorragenden Hauptdarstellenden, deren Mimik und Gestik fesselt, und für alle Mitwirkenden vor und hinter der Bühne. Es werden im November noch zehn weitere Vorstellungen angeboten. 

Swantje Kammerecker

Autor

Kulturblogger Glarus

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Kategorie

  • Glarus
  • Ostschweiz

Publiziert am

28.10.2024

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