Kultur, Regionale News
Jodelkonzert mit amerikanischer Mitwirkung
Ein paar Monate ist es schon her, da fand in Ennenda ein musikalisches Treffen mit dem Jodelclub New Glarus statt. Dank der grosszügigen Unterstützung durch den Kanton kamen alle Teilnehmer in den Genuss einer kostenlosen Grillwurst und eines Getränkes. Das Heimatchörli Ennenda wurde bei der Durchführung durch ihm nahestehende Vereine unterstützt, entstanden ist ein denkwürdiger Anlass, der vielen Menschen Freude bereitet hat.
Auf Initiative des Heimatchörli Ennenda wurde im Juni ein besonderer Anlass organisiert und durchgeführt. Anfangs Jahr suchte die Jodlergruppe aus New Glarus Kontakt mit dem Heimatchörli, zwecks einer Möglichkeit zu einem gemeinsamen Konzert im Anschluss ans Eidgenössische Jodlerfest, welches am Wochenende vom 16. bis 18. Juni in Zug durchgeführt wurde. Auf Gesuch hin wurde der Verein durch den Kanton und die Gemeinde für die Durchführung finanziell unterstützt.
Musik zieht die Menschen an und wirkt verbindend, dies zeigte der gemeinsame Anlass der Glarner und New Glarner Jodelchöre: die Kirche Ennenda vermochte die Besucherscharen gar nicht zu fassen, so gross war das Interesse. Während eines währschaften hochherrschaftlichen Gewitters erklangen die schönsten heimatlichen Töne bis hinüber ins Gesellschaftshaus. Doch vorher traf man sich zum gemeinsamen Essen.
Der Dorfmetzger und seine Gehilfen werfen den Grill an, es duftet verlockend nach Bratwurst und Cervelat. In Plastikboxen liegen die frisch geschnittenen grossen Brotscheiben (oder „Tschiele“, wie es auf echt Glarnerdeutsch heisst): aussen knusprig und innen luftig weich und zart. Nebenan brummt der Lastwagen und kühlt die Getränke, das Buffet im Zelt wird regelmässig mit Nachschub beliefert. Die festlich gewandeten Gäste treffen ein.
Aus dem Gesellschaftshaus ertönt schon jetzt Musik, doch sie versteckt sich noch. Das Heimatchörli Ennenda hat sich dort für seine Generalprobe getroffen und feilt an den letzten anspruchsvollen Passagen. Die Amerikaner sind bereits zurück von ihrer Generalprobe, die in der Kirche stattgefunden hatte. Sie stehen jetzt vor dem GH herum, sie schauen bange hinauf in die Berge und die Wolken, die sich über ihnen auftürmen und ziemlich stark nach Regen aussehen. Von Ferne grollt jedenfalls schon der Donner, es wetterleuchten die Blitze. Die mitgereisten Ehefrauen und Kinder sind hungrig. Glarner:innen und Amerikaner:innen beginnen, mit einander Kontakt aufzunehmen.
Eine ältere Dame aus Sool ist begeistert darüber, dass sie die weitgereisten Gäste selber sehen darf. „Zum Konzert kann ich leider nicht bleiben, das letzte Postauto fährt schon um halb sieben, ich muss bald auf den Zug! Aber ich freue mich so, dass ich hier sein darf. Sehen diese Männer nicht wunderschön aus in ihren Kleidern, mit den Hüten?“ Bereitwillig posiert Mr. Schneider zusammen mit ihr für ein Foto. Danach werden Glarner Familiennamen ausgetauscht. Die Sänger haben natürlich Vorfahren aus dem Glarnerland und kennen deren Namen bis in mehrere Generationen zurück. Andere interessieren sich für unsere kulinarische Kultur und zählen auf, was sie schon gegessen haben und was sie unbedingt noch probieren möchten. „Everything was just delicious!“ schwärmt ein junger Sänger. Die Zeit vergeht wie im Flug bei Gespräch und Gelächter.
Pünktlich um halb sieben sind fast alle in der Kirche, die dabei sein möchten, wenn der Jodelclub New Glarus sich auf der Bühne formiert. Ich stehe im Eingangsbereich, da ist es ziemlich eng, denn inzwischen hat das Gewitter losgelegt und alle wollen unter Dach. Nahe des Eingangs schlägt krachend ein Blitz ein. Der strömende Regen hat einen Vorhang vor die Türe gezogen.
Ich war noch nie an einem Jodelkonzert! Die Melodien sind schön, sehr harmonisch, irgendwie vertraut. Kindheitserinnerungen kommen auf. Der Jodelchor New Glarus steht auf der Bühne, schön sind sie angezogen und stolz präsentieren sie die Kultur, die sie fern von hier pflegen. Aber irgendwie klingt das …. Berndeutsch? Und das Tremolo der Vorsängerin ist auch … - ungewöhnlich. Ohäletz! Achte ich da bereits auf Finessen auf einem Gebiet, das mir absolut fremd ist? Pfui, sage ich zu mir selber, und konzentriere mich auf Anderes. Zum Beispiel auf meine Mithörer:innen. Rührung, strahlende Gesichter, aber auch Ärger und Ungeduld. Nach einer Viertelstunde verlassen einzelne Leute die Kirche, wedeln mit der Hand vor dem Gesicht, uff, dicke Luft hier! Andere schlüpfen dafür hinein ins Kirchenschiff, mit dankbaren Gesichtern.
Nach dem Vortrag des Jodelclubs New Glarus, der frenetisch bejubelt wird, tritt das Heimatchörli Ennenda auf. Ich sehe Bekannte, die augenscheinlich jede Woche jodeln und üben und jetzt dabei sein und mit ihrem Chor auftreten dürfen. Man weiss nie alles über die Leute... Ich flüstere mit meiner Lehrerin, die ich seit der Sekundarschule nie mehr getroffen habe, sie hat sich auf ihren Rollator gesetzt. In einem der Lieder heisst es etwas von „d Seelä bambele lah“, und ich mache, wie fast jedes Mal wenn ich diese Zeile irgendwo höre oder lese (was ziemlich oft geschieht) den Versuch, auf den Ursprung dieses Zitats hinzuweisen. Wir legen eine Schweigeminute für Kurt Tucholsky ein. Wie reich wäre er geworden, nur mit diesem einzelnen Satz aus dem kleinen Roman "Schloss Gripsholm"... Er hätte Geld gehabt, um seine Nase operieren zu lassen. Und wie froh ich gewesen wäre, in meiner Lehrerin schon als 14jährige eine verwandte Seele zu erkennen. Meine Gedanken schweifen auf dem Musikteppich in weite Ferne. Das ist richtig schön, aber auch sehr traurig. Das Fotografieren überlasse ich hier den anderen, aus verschiedenen Gründen. Vor allem wegen des spärlichen Lichtes.
Beiden Chören ist etwas Erstaunliches gemeinsam, was mir vorher noch nie aufgefallen ist: sie haben keinen Dirigenten, aber in ihrer Mitte, in der vordersten Reihe, steht in der schönsten Tracht eine imposante Frau, eine Art Vorsängerin, genannt „die Jodlerin“. Sie gibt den Ton an, sie hält den Chor beisammen, ist Mittelpunkt, führt, taktet. Sie strahlt eine warme Präsenz aus, wie eine Bienenkönigin kommt sie mir vor. In ihrer ganzen geballten Kraft darf sie richtig laut singen. Das muss ein gutes Gefühl sein!
Danach kommt dieser Moment, der bei mir immer irgendwann kommt, wenn Volksmusik, festliche Trachten, Bauernhöfe und damit jener Teil unseres landwirtschaftlich geprägten kulturellen Erbes seinen Auftritt hat, in dem ich nie recht daheim war. Ich sage nur: Alpabzüge! So sehr ich mich auch zusammenreisse: ich muss ein bisschen die Tränen der Rührung zurückhalten. Hier kommen zwar keine Kühe herein, aber (exgüsi!) kleine Mädchen. Viele kleine Mädchen, alle mit geflochtenen Zöpfen, Kniestrümpfen, Lackschühchen, blauen Kleidern und Schürzen. Wie sie zu zweit schüchtern unter dem Schirm hervorschauen! Wie sie bescheiden lächeln! Gotthelf, ruft mein Herz, Erdbeermareili, Albert Anker. Heidi!!
Allerliebst singen die Kinder, ihre Eltern drängen herein, sie fotografieren und filmen. Während ich schon mit dem älteren Lehrerpaar im Saal des GH zusammensitze, ertönt über die Lautsprecher das Konzert. Es dauert noch lange. Nun wird gemischt gesungen, aus dem Stegreif entstehen neue Formationen. Musik als gemeinsame Sprache. Was für ein Glück, sich auf diese Weise mit Menschen zu verbinden über Sprachgrenzen hinweg, über Musikrichtungen, Generationen, Jahrhunderte.
Von Eva Gallati, Kulturbloggerin
Autor
Kulturblogger Glarus
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Kategorie
- Volksmusik
- Glarus
Publiziert am
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