Glarus
Künstlerportrait Flurin Bisig
Künstlerportrait des Bildhauers Flurin Bisig in einem Interview mit Eduard Hauser
Wie bist du auf den Beruf des Künstlers gekommen?
Wie viele Kinder habe ich immer gerne gezeichnet. Mein Grossvater war Architekt, ich habe ihn aber leider nie kennengelernt. Als ich meinen Wunsch geäussert habe, einen Beruf auszuüben bei dem man viel zeichnen kann, schien für alle klar, dass ich Architekt werden sollte. Ich hatte dann in der Kantonsschule einen Zeichenlehrer, der mir von der Kunsthochschule erzählte und mich ermutigte, den Vorkurs zu machen, um herauszufinden, ob ein gestalterischer Beruf etwas für mich wäre. Damals war noch nicht klar, dass ich Künstler werde. Ich konnte mir auch Grafiker als Beruf vorstellen.
Welche Schlüsselerlebnisse haben den Beruf des Künstlers ausgelöst?
Als mir der Zeichenlehrer das Buch von James Lord über die Entstehung seines Portraits von Alberto Giacometti gegeben hat, war für mich in einem Moment alles klar. Nichts hatte mich zuvor derart berührt und ich konnte den Gedanken nicht mehr loswerden, so leben zu wollen. Nur mit dem Allernötigsten und mit dem Fokus auf das Allerwichtigste.
Was ist Dir von der Ausbildung an der Kunsthochschule in Erinnerung?
Ich habe zuerst den Vorkurs in Luzern gemacht. Das war für mich ein ausserordentliches Erlebnis. Das hatte damit zu tun, dass ich eine Bestätigung beim Ausprobieren der verschiedenen Facetten der Gestaltung erhalten habe. Es war fantastisch sich die ganze Zeit nur noch mit Fragen der Gestaltung auseinanderzusetzen. Gleichzeitig lernte ich neue Medien kennen und merkte beim Zeichnen und allem was ich tat, dass ich noch absolut nirgends war.
In Luzern wurde es mir zu eng und bin nach Berlin gegangen, um da mein Kunststudium zu machen. Das war ein wichtiger Bruch. Berlin war ein grosses Experimentierfeld um Erfahrungen zu sammeln. Wir hatten 24 Stunden Zugang zu den Ateliers. Das deutsche Akademiesystem kam mir sehr entgegen. Man liess mich einfach machen und es gab kaum Verpflichtungen, die man erfüllen musste. Die Universität der Künste ist als Gebäude wie ein kleines Dorf in der Grossstadt eingebettet, mit einem Garten indem sich alle Studierenden treffen. Es kommt mir vor, als hätte ich mir mein Studium zu einem grossen Teil selbst organisiert. Hinzu kam, dass ich zu einer Zeit in Berlin studiert habe, in der viele ältere Professoren gingen und noch keine Nachfolge geregelt war. So kam es, dass ich bei drei ganz unterschiedlichen Künstlern studiert habe. Michael Schoenholtz war ein eingefleischter Steinbildhauer, der mich hauptsächlich ermuntert hat, weiter zu machen. Sein Atelier zu besuchen und der Kontakt mit ihm, wurden für mich viel wichtiger als die einzelnen Arbeitsbesprechungen. Dann ging ich zu Tony Cragg. Was ich grossartig an ihm fand und mir bis heute geblieben ist, sind seine Reden, wie wichtig Bildhauerei sei. Er konnte problemlos eine Stunde einen lauten Monolog darüber halten. Cragg gab einem aber das Gefühl, dass es nichts Besseres gibt, als Bildhauerei zu machen. Ein paar Studierende und ich organisierten nach dem Wegang von Cragg eine Gastprofessur mit dem deutschen Konzeptkünstler Florian Slotawa. Der Kontrast zu Cragg hätte kaum grösser sein können. Er war sehr jung, nahm sich viel Zeit mit uns auf Augenhöhe zu reden und hatte einen konzeptuellen Zugang zur Skulptur.
Wie ist der Ablauf zur Erarbeitung einer Skulptur? Welches sind vorbereitende Schritte?
Der Weg zu einer Plastik führt für mich immer über die Zeichnung. Ich zeichne jeden Tag stapelweise auf Blätter, möglichst ohne einen Plan oder eine Vorstellung. Im Grunde geht es dabei darum, alles was ich weiss loszulassen und mich von dem was auf dem Blatt passiert überraschen zu lassen. Es sind Übungen um ein Gefühl für den Stift aufzubauen und aufrechtzuerhalten. Gleichzeitig ist es eine mentale Übung loszulassen und die Aufmerksamkeit einzig darauf zu richten, was im nächsten Moment vor mir geschieht.
Ich achte darauf, dass ich mich zwischendurch hinlege. Diese kurzen Momente des Abtauchens, in denen Traumsequenzen auftauchen, sind einerseits erholsam, aber durchwirken auch die Wachzustände mit einem anderen Bewusstsein. Ich habe das Gefühl klarer zu sehen, was ich tun muss. Oft träume ich auch Formen, die ich dann im Aufwachen aufzeichne.
Was fasziniert Dich am Beruf des Künstlers?
Niemand hat darauf gewartet, dass ich Kunst mache. Und trotzdem mache ich es. Jeden Tag, wenn möglich. Das ist kein einfaches Leben. Aber ich spüre, dass darin eine archaische Schönheit liegt. Man befindet sich ungewollt am Rande der Gesellschaft und hat dadurch einen Freiraum, den nur noch Wenige haben. Es ist eine Lebensform, die wenig existiert und doch wird es sie immer geben! Egal wie prekär die Verhältnisse sind. Es ist etwas vom Wertvollsten, Zeit für Kontemplation zu haben und nur das zu machen, was man für richtig und notwendig hält. Ich befinde mich ganz Nahe an Gerhard Richters Ausspruch: „Kunst ist die höchste Form der Hoffnung“.
Schildere bitte an einem Beispiel den künstlerischen Prozess und die künstlerische Aussage.
Das kann ich so nicht beantworten. Ich möchte auf etwas Grundsätzlicheres zu sprechen kommen: Es liegt ein Problem für mich darin, eine künstlerische Aussage (versprachlicht) überhaupt vorauszusetzen! Es ist ein ähnliches Problem wie die Gedankenkonstruktion, dass es eine Unterscheidung zwischen Form und Inhalt gäbe. Das hat früher und führt immer wieder zu Missverständnissen. Alles ist in meiner Arbeit drin. Ich habe da nichts hinzuzufügen! Die Arbeit selbst ist die künstlerische Aussage.
Das Gestalten von Plastiken folgt Regeln, wie bei der Sprache. Mit diesen kann gearbeitet oder gebrochen werden. Sie bilden die Bedingungen dafür, was gemacht werden kann. Das Übersetzen in eine „künstlerische Aussage“, also in Sprache kann nur schlecht gelingen, ohne sie zu vereinfachen und zu verkürzen. Meine künstlerische Arbeit ist nichts anderes als der Versuch eine eigene Sprache zu entwerfen.
In der gegenwärtigen Situation der Corona-Krise habe ich wieder Texte gelesen, die mich bereits früher beschäftigt haben, nur hat sich ihr Sinn verändert. Martin Heidegger ist im Buch „Bauen, Wohnen, Denken“ aufgefallen, dass in „sich aufhalten“ sowohl die Bedeutung von „bleiben“ enthalten ist, als auch das „aufhalten“, also „offen halten“. Bleiben ist also nicht nur einfach eingesperrt sein, sondern auch empfangen. Diese Haltung beschreibt auch meine eigene, aus der heraus ich meine künstlerische Arbeit entwickle. Das bedeutet für mich, dass ich niemals eine Arbeit ausführe, bei der ich genau weiss, worum es geht. Gegen eine solche Absehbarkeit verweigere ich mich. Ich will beim Arbeiten herausfinden, worüber ich überhaupt nachdenke und was mich beschäftigt. Es ist ein Handeln auch gegen das Wissen. Was ich bereits weiss, langweilt mich!
Um mein Vorgehen zu beschreiben, kann ich sagen, dass jede Plastik einen geistigen Inhalt hat, aber erst mit dem Fertigstellen der Arbeit, in dem ich entscheide, "wie" diese Arbeit zu stehen kommt - also die Sockelfrage - beginne ich die Deutung und mit ihr die Titelgebung.
Könnte ich eine „künstlerische Aussage“ in Sprache formulieren, würde ich direkt die Sprache als Medium verwenden. Das ist das Missverständnis. Ich bin überzeugt davon, dass etwas Unerklärbares in einem Kunstwerk sein sollte, vielleicht sogar erst einmal etwas Nutzloses. Auf jeden Fall muss sich daraus eine horizontale Deutungsstruktur ergeben. Eine einzige Auslegung hätte mit Kunst sicher nichts zu tun.
Welche Erfahrungen hast Du mit dem Kunstmarkt (Galerien, Kunsthäuser) gemacht?
Verschiedene. Es ist ein Teil, der zum Beruf gehört. Es geht da sehr weltlich zu und her. Ich bin froh über die Gelegenheiten, bei denen ich meine Arbeit zeigen kann. Man freut sich über die Aufmerksamkeit und dass die Arbeiten von anderen Menschen gesehen wurden. Schlussendlich arbeitet man nicht nur ganz für sich alleine.
Ein Kunstmuseum funktioniert ganz anders als eine Galerie. Und es gibt den Markt, der so ist wie jeder andere Markt auch. Nicht die Talentiertesten kommen immer weiter. Es ist hartumkämpft und mehr oder weniger durchschaubar. Auf meine Arbeit haben diese Erfahrungen bisher keine Auswirkungen gehabt. Das soll auch so bleiben.
Was würdest Du einem Künstler oder einer Künstlerin am Anfang der Karriere raten?
Der Intuition vertrauen. Sich nicht durch das Umfeld beirren lassen. Stetig arbeiten und das machen, was sie/er für richtig hält.
Welche Vorbilder aus der Kunstszene sind für Dich wegleitend? Warum?
Eigenartigerweise werden es immer weniger. Unter den lebenden Künstlern sind der in Bern lebende tschechische Künstler Vaclav Pozarek und der Maler Albrecht Schnider für mich seit meinem Studium wegleitend. Der konstruktive Ansatz in Pozareks Werk, auch seine Fotografien, in denen man nachvollziehen kann, wie er die Welt sieht, haben mich immer auf einer sehr emotionalen Ebene berührt. Mit Albrecht Schnider gibt es biographische Überschneidungen und ich kenne ihn seit meinem Studium in Berlin
Was sind Deine nächsten Projekte?
Im Oktober zeige ich ein paar Arbeiten im Hauptsitz der Luzerner Kantonalbank in Luzern. Andere Ausstellungsprojekte sind in Besprechung, aber noch nicht spruchreif. Im April 2021 werde ich für drei Monate nach New York in eine Residency gehen. Die Zeit bis dahin werde ich intensiv im Atelier hier im Glarnerland nutzen!
Herzlichen Dank, lieber Flurin.
Autor
Kulturblogger Glarus
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Hauser Eduard
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