GKO für Online
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Glarner Kammerorchester vor Auftritt
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Solo Stefan Mächler
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Totale Saal
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Simon Gisler
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Berichte News

Mit der Viola in einem Glarner Jazz-Orchester

Seit 25 Jahren spiele ich im Glarner Kammerorchester mit. Bisher bewegten wir uns eher in klassischen Gefilden. Am 8. Juni wagten wir ein Experiment und konzertierten wir mit der Big Band Capric(h)orns im Gemeindehaussaal Ennenda.

Kennen Sie das Glarner Jazz-Orchester? War mir auch bis vor kurzem kein Begriff! Nein, es ist keiner der zahlreichen Musikvereine in unserem Kanton. Auch keine Neugründung. Es ist eine Klangwelt, die sich mir anlässlich des jüngsten Projekts unseres Glarner Kammerorchesters erschloss. Vorweg: Dass man im Kulturblog über eigene Aktivitäten schreibt, ist eigentlich ein No-Go. Aber als ich beim letzten Bloggertreffen Ende Mai Flyer von „Classical goes Jazz – GKO meets Capric(h)orns“ – verteilte, hiess es: „Das wäre doch mal spannend aus der Innensicht!“ Also keine Regel ohne Ausnahme.

Die Big Band Capric(h)orns ist ein Ensemble der Glarner Musikschule mit etwa einem Dutzend Musizierender vom Teenager bis zum Senior. Musikschulleiter Jürg Wickihalder, der zum Konzert am 8. Juni begrüsste, war dort selbst einmal Leiter; heute ist es sein ehemaliger Schüler Stefan Mächler – und das seit fast 10 Jahren. Mächler ist Saxophonist, Saxophon-Lehrer an der Glarner Musikschule und in der Band E-Bassist. Weil das Glarner Kammerorchester und die Glarner Musikschule seit zwanzig Jahren eine regelmässige Zusammenarbeit pflegen, gab es immer wieder spannende gemeinsame Projekte. 2004 fand die erste Glarner „Streichermatinee“ mit etwa 50 Musizierenden aus beiden Institutionen statt, welche ich damals als Orchester-Vizepräsidentin mitinitiieren durfte. Seit 2011 findet auch alle paar Jahre das Format „Junge Glarner Musiktalente“ statt, in dem begabte Lernende der Glarner Musikschule als Solistinnen mit dem Glarner Kammerorchester auftreten. (Merken: nächstes Mal am 13. Juni 2026!). An einem solchen Talentkonzert begleiteten wir auch den damaligen Schüler Stefan Mächler. Sein Stück, eine Art Latino Jazz (falls ich das richtig erinnere) war für das klassisch ausgerichtete Glarner Kammerorchester eine ungewöhnliche, spannende Herausforderung.

Die Vorgeschichte

Am1. Juli 2022, auf der Terrasse eines Alphäuschens hoch über dem Oberblegisee, nahm das Projekt vom 8. Juni 2024 seinen Anfang: Unser Orchestervorstand traf sich zu einer ganztätigen Retraite in frischer Bergluft. Denn nach den ziemlich anstrengenden Corona-Jahren waren - zuletzt mit der Oper Fiorina vom Mai 2022 - alle bisher geplanten und teils mehrfach verschobenen Konzertprojekte nun realisiert und der Freiraum da, für die Zukunft zu planen. Dabei wollten wir nebst unseren gewohnten Konzertformaten (wie Sinfoniekonzerte oder Konzerte mit Chor) Neues ausprobieren. Barbara, unsere Vizepräsidentin, schlug vor: „Warum nicht mal ein Konzert mit einer Band?“ Dirigent Reto Cuonz und Konzertmeister Peter Ferndriger nahmen die Idee offen auf. Wir aktivierten unsere Kontakte zur Glarner Musikschule. Und Stefan Mächler, Bandleader der Capric(h)ons, reagierte begeistert mit einer Zusage.

Damals jedoch ahnte noch niemand, wieviel Arbeit auf uns zukam. Es fängt an mit den Noten, man kann sie nicht einfach bei einem Verlag bestellen. Auch weiss das eine Ensemble zunächst nicht so genau, was in den Möglichkeiten des anderen liegt. Man muss sich finden. Doch beide Seiten legten sich wacker ins Zeug. Für den gemeinsamen Teil des Konzerts arrangierte Stefan Mächler sechs Stücke, ein siebtes (Tatort) gaben wir bei einem anderen Arrangeur in Auftrag. Konzertmeister Peter Ferndriger seinerseits machte sich auf Suche nach Jazznoten für Streicher. Nicht alles gefiel uns, einiges änderten wir ab; überliessen hier oder da die Melodie dem Sänger und einem Saxophonisten der Band, passten den Charakter des Streicherklangs mal mit Pizzicato, mit Sordino an. Dieses Experimentieren brachte fürs Orchester eine gewisse Verunsicherung mit sich, doch Dirigent und Konzertmeister strahlten Geduld und Zuversicht aus, dass es gut kommt. Die Phase des gemeinsamen Probens, besonders das Probenwochenende vorm Konzert bescherte schliesslich viele Aha-Erlebnisse, die Vorfreude stieg.

Zwei verschiedene Kulturen

„Es sind zwei verschiedene Kulturen, die hier aufeinander treffen. Nicht nur, weil die Band Wert auf ein Bierchen legt und das klassische Orchester vorm Konzert eher Mineral und hinterher ein gutes Glas Wein vorzieht“, so die augenzwinkernde Einleitung von Jürg Wickihalder zum Konzert. Die durchaus unterschiedlichen „Kulturen“ oder Arten des Musizierens zu erleben, voneinander zu lernen und schliesslich etwas gemeinsames zu formen, war ein spannendes Experiment, das ich – auch nach den bisherigen Rückmeldungen – als gelungen und eine grosse Bereicherung ansehe. In der Band zählt der Leader ein: „One-two... one-two-three-four”; im Orchester wird der Einsatz vom Dirigentenpult aus gegeben. Der klassische Dirigent moduliert mit Gesten das musikalische Relief und die Spannungsbögen der Melodie – also eine Art horizontale Linie. Bei der Band sind hingegen der Rhythmus und die Bildung von „Figuren“ bestimmend – mehr ein vertikales Geschehen. Und das lässt sich verbinden! Wir „Klassiker“ mussten lernen, dass im Jazz oder Swing die Noten nie genau die Spielweise abbilden und wie wir ohne „Zählkrampf“ mit Synkopen, unbetonten Taktanfängen und Gegenrhythmen zurechtkommen. Die Band lernte, mehr kammermusikalisch auf Zwischentöne und Dynamik zu achten. Perfekt waren wir sicher noch nicht. Beim Proben war einiges ungewohnt, streng, und daher umso schöner, wie es am Konzert doch immer wieder gelang: sich einfach der Musik hinzugeben und sich an ihr zu freuen.

Das Konzert

Zum Schluss noch einige Spotlights, von denen auch die Bilder erzählen:

20 Uhr: Das Orchester ist auf der Treppe aufgestellt und wartet auf den Einmarsch. Doch es dauert: Der Andrang im Saal ist so gross, dass noch Bänke herumgetragen werden… dann geht’s los: Wir werden mit tosendem Beifall empfangen. Vorschlusslorbeeren! Oh, ein tolles Publikum!

20.10 Uhr: Schon während des ersten Stücks im Saal steigt die Hitze. Michael Juen, Schlagzeuglehrer an der Glarner Musikschule, spielt in rasendem Tempo die solistische Schreibmaschine in Leroy Andersons Stück „The Typewriter“, begleitet vom Orchester.

20.45: Der erste Teil ist vorbei, das Glarner Kammerorchester unter Reto Cuonz begleitete dabei Sax-Solist Jürgen E. Grandt bei „Chesea Bridge“, Sänger Simon Gisler bei „Summertime“ und „The Girl of Ipanema“ sowie Stefan Mächler als Solist bei A. Glasunows spätromantischem Konzert für Saxophon und Streichorchester. Solozugabe von Stefan: „Over the rainbow“. Pause.

21 Uhr: Teil zwei wird von den Capric(h)orns unter Leitung von Stefan Mächler bestritten, einige Lieder wieder mit Sänger Simon Gisler. Wir Streicher können zurücklehnen und geniessen. Die Spielfreude der Band ist mitreissend, auch wenns hie und da (für uns ungewohnt) laut wird. Immer wieder tolle Soli, von Musizierenden aller Register und Alter, viel Zwischenapplaus.

21.30 Uhr: Jetzt wächst das Orchester mit beiden Ensembles auf sinfonische Grösse an. Lyrisches wechselt mit temperamentvollen Hits ab, und das Tüpfelchen auf dem I ist immer wieder die Stimme von Simon Gisler. Logisch, dass er auch bei den zwei Zugaben mit von der Partie ist: „L-O-V-E“ und „It’s not unusual“. Standing Ovations, Blumen und: Schluss um…

22 Uhr. Jetzt ist Zeit für ein Bierchen – oder eben ein Glas Wasser oder Wein 😊.

Text: Swantje Kammerecker (Mitglied im Glarner Kammerorchester seit 1999, Stimmführerin der Viola und Orchesterpräsidentin seit 2008). Fotos: Swantje Kammerecker, Simon Gisler, Rainer Kickingereder

Autor

Kulturblogger Glarus

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Kategorie

  • Berichte News

Publiziert am

15.06.2024

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