Benjamin Kistler
Benjamin Kistler

Politik, Regionale News

Ideologisch sind immer die anderen

Kürzlich wurde meiner Fraktion und mir im Landrat vorgeworfen, ideologisch zu handeln. Dieser Vorwurf traf mich unerwartet, und für einen Moment kochte die Wut in mir hoch. Mein erster Impuls war, das Wort zu verlangen und den Vorwurf zurückzugeben: «Nein, ihr handelt ideologisch!» Zum Glück blieb es bei einem ungesagten Gedanken. Doch die Frage liess mich nicht los: Was bedeutet es eigentlich, ideologisch zu sein? Und warum scheint Ideologie immer eine Eigenschaft der anderen zu sein?

Eine Definition von politischer Ideologie lautet: Sie ist ein kohärentes System von Überzeugungen, Werten und Zielen, das eine bestimmte Vorstellung davon vermittelt, wie Gesellschaft und Politik organisiert sein sollten. Diese Überzeugungen prägen unser Handeln. In der Praxis zeigt sich das oft bei politischen Diskussionen, etwa bei Budgetdebatten.

Ein Beispiel: Die Finanzen auf Kantons- und Gemeindeebene stehen unter Druck, und die Frage, wofür die knappen Mittel verwendet werden, führt zu hitzigen Diskussionen. In Glarus Nord wurde kürzlich eine Strassensanierung mit Massnahmen zur Verkehrsberuhigung abgelehnt. In Glarus Mitte stimmte eine Mehrheit gegen flächendeckende Tempo-30-Zonen. Die Argumente sind bekannt: Mehr Sicherheit und Lebensqualität auf der einen, ungehinderte Fahrt auf der anderen Seite. Beides ist ideologisch, weil diese Entscheidungen von Werten und Überzeugungen geprägt sind.

Jeder Mensch trägt eine Ideologie in sich, bewusst oder unbewusst. Unsere Vorstellungen darüber, was richtig oder falsch ist, was notwendig und was überflüssig ist, sind geprägt von kulturellen, sozialen und historischen Einflüssen. Familie, Arbeit, Medien oder unser Lebensumfeld spielen eine entscheidende Rolle dabei, welche Weltanschauungen wir übernehmen. Frei von Ideologie zu sein, scheint daher ein unmögliches Unterfangen. Aber: Es ist möglich, ideologische Prägungen zu erkennen und kritisch zu hinterfragen. Durch Reflexion kann man bewusster mit ihnen umgehen, auch wenn man nie ganz ausserhalb ideologischer Denkweisen steht. Schliesslich ist selbst die Kritik an Ideologie oft durch eine andere Ideologie geprägt.

Wenn ich wieder mal denke, dass jemand ideologisch handelt, kann ich innehalten und fragen: «Was sind denn die Gründe, die zu deiner Überzeugung geführt haben? Gäbe es einen Kompromiss, den wir schliessen könnten?» So könnte aus dem Vorwurf der Ideologie vielleicht etwas Positives entstehen.
Wenn mir künftig wieder vorgeworfen wird, ideologisch zu handeln, bin ich vorbereitet. Anstatt mich darüber zu ärgern, werde ich zuerst innerlich schmunzeln: „Ja, ich bin ideologisch – aber du ebenso.»

Quelle: Politkolumne «zur Debatte», Glarner Nachrichten vom 13.12.2024

Autor

SP Kanton Glarus

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Kategorie

  • Schweiz
  • Glarus

Publiziert am

13.12.2024

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