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Kultur, Regionale News

Das Schönste am Kleiderfasten

Was ist Kleiderfasten? Das was die Minimalisten vormachen? Ein Jahr lang das gleiche Kleid tragen, sich täglich dabei fotografieren und die Bilder auf instagram posten? Auf Labels achten und nur «fair produzierte» Sachen kaufen? Oder gar keine Kleider mehr kaufen?

Teil 2b der Kulturblog-Serie zur Fastenzeit 2022 von Eva Gallati, Kulturbloggerin

Der Überkonsum von Rohstoffen verschlingenden, unter gelinde gesagt ungünstigen Bedingungen für Mensch und Umwelt produzierten Konsumgütern stösst in immer weiteren Kreisen auf Kritik.

Die Bekleidungs- und Textilindustrie gehört weltweit zu den grössten Verursachern von Umweltschäden, diese Tatsache ist seit langer Zeit bekannt. Gerade hat der WWF sein neuestes Rating zur Bekleidungs- und Textilindustrie veröffentlicht. Darin sind auch Anregungen an den Endverbraucher enthalten: Verbrauch reduzieren, Kleidung reparieren, teilen, weitergeben, rezyklieren.

Also, der Reihe nach: Was bedeutet Fasten?

In Teil 1 der Kulturblog-Serie zur Fastenzeit 2022 gibt uns Werner Kälin einen Überblick über das Fasten an sich. Die Begriffe wandeln sich im Laufe der Zeit, entfernen sich von den gängigen, überlieferten Vorstellungen. Unter Fasten verstand man lange Zeit ausschliesslich den religiös diktierten, zeitlich beschränkten Verzicht auf bestimmte Nahrungsmittel. 

Fasten um gesünder und fitter zu werden, wurde zum Modetrend in einer beginnenden Überflussgesellschaft. Privilegierte Kreise unterzogen sich in Kurhäusern einem strengen Regime (deutsch: Diät), natürlich inmitten von ablenkendem gesellschaftlichem Getue. Pioniere wie Dr. Max Bircher-Benner (Höhenklinik Braunwald) und John Harvey Kellogg aus den USA (Buchtipp: T.C. Boyle, «Willkommen in Wellville») sind noch immer berühmt, andere wie Helmut Schuberth, der um 1930 im Zwickyhaus in Mollis die Forsanose (eine Art Ovomaltine) erfand, sind heute vergessen.

In jüngerer Zeit begegnen wir Begriffen wie Handyfasten, Klimafasten oder eben Kleiderfasten. Auch hier geht es um Konsum. Oder um das Gegenteil, wie beim Jammerfasten…

Wie Swantje Kammerecker in ihrem Beitrag vom 2. März, möchte ich näher auf das Thema Kleiderfasten eingehen.



Mangel vs. Überfluss


In unseren Breitengraden fehlt die unmittelbare Erfahrung von Mangel – an Konsumgütern des täglichen Bedarfs jedenfalls. Uns ist eigentlich unwohl inmitten all des materiellen Überflusses, der kein frohes Gefühl der Fülle und Dankbarkeit zu erzeugen in der Lage ist. Wir kaufen und horten unsere Besitztümer zuhause, wir vergessen, dass wir sie besitzen, weil sie im Schrank ganz nach hinten gerutscht sind. Oft macht sich der Missmut schon auf dem schwer bepackten Nachhauseweg bemerkbar: Mist, wo räume ich diese Klamotten hin? Es hat ja gar keinen Platz mehr im Schrank!

Konsumieren oder erleben?

Die Werbung verführt uns zum Geld ausgeben, indem sie sich die Erkenntnisse der Marktforschung zunutze macht: Was wir eigentlich erwerben möchten, sind Erlebnisse, nicht Dinge. Erlebt werden möchten vor allem Freude, Zugehörigkeit, Akzeptanz. Bewunderung, Zuneigung, Liebe. Dass diese positiven Empfindungen mit dazu gehören, wenn ich ein bestimmtes Produkt käuflich erwerbe, davon vermag Werbung uns offenbar immer erfolgreicher zu überzeugen. Das Versprochene wird jedoch nicht eintreten - "noch nicht!" sagt die Werbung, denn "da fehlt noch etwas!"

Erleben erfordert ein Engagement mit offenem Ausgang

Eine Wanderung unternehmen oder sich mit dem neu angeschafften Haustier zu arrangieren, das stellt uns vor Herausforderungen, aus denen wir etwas lernen können. Unliebsame Überraschungen, Schwierigkeiten, die Erkenntnis, dass man nicht alles weiss, um die Aufgabe bewältigen zu können, dass aber Wissen grundsätzlich verfügbar ist, führen uns weiter. Wir können uns selber zu Lösungen befähigen. Lernen ist der Schlüssel zum Glück. Unsere Erfahrungensschatz wächst mit jeder Herausforderung.

Fasten als Erlebnis

Der Verzicht auf etwas, was zu gönnen man sich gewöhnt ist, wird sich auf die körperliche und seelische Befindlichkeit auswirken. Wir können unsere Reaktionen beobachten, ein prozessorientiertes inneres Wachstum anstossen, das Unbehagen willkommen heissen als Preis für ein neues Erleben.

Uns selber an die Hand zu nehmen und wohlwollend ins Neuland zu begleiten, das wäre dann so etwas wie beten, büssen und reinigen. Zusammen mit anderen geht es besser!



Anleitung zum Kleiderfasten - wie beginnen?

Radikal Raum schaffen

Nur behalten, was ich regelmässig trage, weil es mir passt, gefällt und mich zweckmässig kleidet. Diese Sachen bekommen einen schönen Platz im Kleiderschrank. Logisch einräumen. Fort mit allem, was ich im vergangenen Jahr nicht getragen habe, was mir nicht mehr passt, was mir nicht mehr gefällt, worin ich Sch… aussehe, was abgetragen, abgeschmackt ist, was mir beim Anschauen schlechte Erinnerungen hochkommen lässt. Secondhand-Läden sind dankbar dafür! Der WWF liefert Ideen zur Planung einer Kleidertauschparty. Ein grösserer Kleidertausch wurde letzten Herbst von der Klimabewegung Glarus organisiert und im Güterschuppen durchgeführt, es war ein grosser Erfolg.
Ein Satz noch zu synthetischen Kleider, also solchen aus Plastik. Das sind z.B. Polyester, Polyamid und Konsorten. Poly- steht für Erdöl. Diese Sachen verursachen schon bei der Produktion starke Emissionen, sie sind giftig. Bitte keine synthetischen Kleider in die Kleidersammlung geben. Sie landen zu oft im Meer oder auf Müllhalden, wo sie beim Verbrennen äusserst schädlichen Rauch entwickeln. Plastik, den wir nicht mehr haben wollen, gehört in die Kehrichtverbrennung, damit es kontrolliert zerstört werden kann!

Sortieren, einpacken und für spätere Verwendung aufbewahren

Alles in Kisten verpacken (mottensicher z.B. in Kehrichtsäcke), anschreiben und im Estrich aufbewahren. Ich habe schon oft Sachen nach vielen Jahren wieder hervorgeholt! Was regelmässig getragen wird, logisch einräumen.

In beiden Fällen: im Kleiderschrank bleibt nur, was gegenwärtig benutzt wird und zusammenpasst.

Entscheidungskriterien

  • Wie will ich mich zeigen, wie will ich gesehen werden?
  • Wie wirken Farben auf mich? Welche Farben trage ich gerne, stehen mir, sind praktisch zu kombinieren?
  • Wie viel Bequemlichkeit gestehe ich mir zu, bei der Arbeit, zuhause, in der Freizeit?
  • Wie wohl darf ich mich fühlen?



Kaputte Teile flicken oder flicken lassen, umarbeiten zu etwas Neuem
Nähte können wieder geschlossen, Reisverschlüsse ersetzt und Löcher geflickt werden. Warum nicht einen Workshop organisieren und einander dabei helfen? Oder die örtlichen Änderungsateliers damit beauftragen. Das ist gar nicht soo teuer!

Jetzt hat es wieder Platz!


Aber: Das Fasten fängt gerade erst an. Nichts kaufen, sondern beobachten. Wann kommst du in Kauflaune, und was sind die Gründe dafür? Ein Kleiderfasten-Tagebuch zu führen wäre eine schöne Idee! Du kannst es mit Bildern ergänzen von Sachen, die du gerne haben möchtest. Wichtig ist aber vor allem, den Impuls zu erkennen, der dich zum Kauf verleitet. Und dann das Gefühl in der Rückschau, nach dem Verzicht. Ist es ein gutes Gefühl?

Wie lange willst du fasten? Setze dir ein Ziel. Vielleicht kaufst du erst am Ende der Saison günstig dazu, was offensichtlich zu ersetzen ist. Vielleicht möchtest du erst deine Ausstattung komplettieren und danach mit der Beobachtung beginnen? Oder du setzt dir einen Zeitrahmen, in dem du gar nichts anschaffst.

Jetzt erst kommen die Überlegungen zum nachhaltigen Konsum, das Abwägen, die Information, schliesslich die Kaufentscheidung und die Aufnahme des neuen Besitzes in den Bestand. Denn auch die schnöden Dinge des alltäglichen Gebrauches haben ein Recht auf Integration!

Es lohnt sich, herauszufinden was man wirklich braucht. Dies in guter Qualität in sein Leben holen, pflegen, Sorge dazu tragen. Macht den Kopf und das Herz frei für anderes, was vielleicht das Schönste ist am (Kleider-)Fasten. Diese Haltung kann auf alle möglichen Lebensbereiche übertragen werden. Denken macht Spass, entdecken bereichert.


Weitere Artikel der Kulturblog-Serie zur Fastenzeit 2022 unter #klimafasten im Suchfeld der Glarner Agenda

Autor

Kulturblogger Glarus

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Kategorie

  • Kultur
  • Ostschweiz

Publiziert am

08.03.2022

Webcode

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