Kultur, Brauchtum / Feste
Dem Ende folgt der Anfang
40 Tage dauert und heute endet sie: die grosse Fastenzeit. Ihr Anfang war das Ende der (katholischen) Fasnacht. Ihr Ende ist der Tag, an dem Jesus am Kreuz starb. Dass vor der langen Zeit des Verzichts, an der Fasnacht, noch einmal mächtig auf den Putz gehauen wird, leuchtete mir schon immer ein. Warum aber die Fastenzeit ausgerechnet mit einem Todesfall endet, fragte ich mich noch nie – am heutigen Karfreitag gibt es im Kulturblog unter anderem Antworten darauf.
von Werner Kälin (Kulturblogger) und Peter Hofmann (Pfarrer und Dekan)
Wie haben Sie gefastet? Was hat es mit Ihnen gemacht? Und was tun Sie so am Karfreitag? Die Antworten darauf sind vermutlich so verschieden wie die Menschen, die sie geben. Was bei allen gleich ist: Endet was, fängt auch was an.
Als Kind durfte ich am Karfreitag Jesus-Filme schauen; das Ende, der Tod, führt darin zu einem Anfang, der Auferstehung. Einmal wurde ausgerechnet bei der Kreuzigungsszene unsere Katze überfahren und starb; wenige Tage später zog eine andere Katze bei uns ein. An Karfreitag gab es nie Fleisch; dafür immer Käse- und Fruchtwähe. Und an Karfreitag war jeweils das violette «Opfersäckli» bis zum Ende voll mit Münzen, die dann an ein Hilfsprojekt gingen; «damit können die Kinder in Afrika etwas anfangen», hiess es jeweils.
Auch heute noch führen HEKS und Fastenaktion die ökumenische Kampagne von Aschermittwoch bis Karfreitag durch; sie heisst «Sehen und Handeln». Unter anderem verkauften Freiwillige dieses Jahr 60'000 Rosen für die Menschen im globalen Süden; vielleicht haben auch Sie eine oder mehrere davon auf der Strasse gekauft. Meine beiden stehen noch immer in der Vase in der Küche, obwohl man ihnen das Ende regelrecht ansieht.
3 Fragen an Peter Hofmann
Was hinter dem Ende der Fastenzeit und dem Karfreitag sonst noch steckt und warum dieses Ende auch ein Anfang ist, wollte ich von jemandem wissen, der sich – wie man landläufig sagt oder erwartet – auskennt. Gefunden habe ich diesen Menschen in Glarus Süd: Peter Hofmann ist Pfarrer bei der evangelisch reformierten Kirchgemeinde Schwanden.
WK: Am Karfreitag endet jeweils die grosse Fastenzeit – eigentlich ein Grund zum Feiern, weil es das Ende des Verzichts ist. Allerdings starb an Karfreitag auch Jesus am Kreuz. Was gibt es da zu feiern und was haben Fasten und Sterben miteinander zu tun?
PH: Auch heute halten verschiedene Kirchen am Karfreitag als striktem Fasten- und Abstinenztag fest. Die Abstinenz signalisiert die Bereitschaft, Jesu Leiden nachzufühlen und gleichzeitig sein Leben neu auszurichten. Auch als reformierter Zürcher bin ich mit der Tradition aufgewachsen, am Karfreitag sicher kein Fleisch zu essen. Dafür durfte es aber Fisch sein, weil Fisch nicht als Fleisch gilt.
Und zwischen Fasten und dem Sterbeprozess gibt es tatsächlich Berührungspunkte, denn nicht selten bereits Wochen oder zumindest einzelne Tage vor dem Tod spüren Sterbende grössere Schwäche und Müdigkeit als üblich. Damit geht oft eine deutlich sichtbare Abmagerung einher. Durst bleibt fast immer bestehen, er kann aber schon mit kleinsten Flüssigkeitsmengen oder Befeuchtung der Lippen gestillt werden.
Wie beim Fasten entwickeln Sterbende in diesem Prozess eine erhöhte Sensibilität gegenüber verschiedenen Reizen, optischen und akustischen. Und auch schon leichte Berührungen können als schmerzhaft empfunden werden. Es empfiehlt sich, bei der Begleitung darauf zu achten, wie etwa: Berührungen ankündigen! Stimmungssensibilität wahrnehmen! Subtil spüren, über was gesprochen wird (Antwort: nur über Wesentliches!) und ob und welche Musik der Sterbende noch hören will. Nicht jede Musik, die jemandem früher gefiel, zum Beispiel Marschmusik, ist für ihn auf dem Sterbebett noch bekömmlich. So gesehen ist das «Fasten» eines Sterbenden ganz sicher ein Medien-Fasten. Und so sehr ein Sterbender im Moment eine Musik vielleicht liebt und noch braucht, so sehr kann sie ihm schon fünf Minuten später zu viel werden.
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WK: Während der letzten 40 Tage habe ich persönlich nicht gefastet – also bewusst auf Konsum verzichtet. In welchem Zusammenhang ist Fasten für Sie besonders wichtig und wie lassen sich die Menschen davon überzeugen, auf ihre Gewohnheiten zu verzichten?
PH: Da ich ein experimentierfreudiger und neugieriger Mensch bin, habe ich radikale Formen von Fasten natürlich schon in verschiedenen Weisen und aus religiösen, politischen und gesundheitlichen Gründen ausprobiert. Seit mehr als zwanzig Jahren praktiziere ich solche Formen von Fasten aber nicht mehr – ab und zu mal einen Safttag, das tut nur schon aus gesundheitlichen Gründen gut.
Sonst pflege ich einen bedürfnisorientierten Umgang mit Nahrung. Die Menschen würde ich weder zum Fasten aufrufen noch würde ich es ihnen ausreden. Hier teile ich die Position von Huldrych Zwingli. In seiner berühmt gewordenen Fastenpredigt, die er vor exakt 501 Jahren bei Froschauer publizierte (Gründonnerstag 1522), lautet eine der markantesten Bemerkungen: «Kurz und einfach gesagt: Willst du gerne fasten, dann tue es! Willst du dabei auf Fleisch verzichten, dann iss auch kein Fleisch! Lass mir aber dabei dem Christen die freie Wahl! Wenn aber dein Nächster daran Anstoss nimmt, wenn du von deiner Freiheit Gebrauch machst, dann sollst du ihn nicht grundlos in Schwierigkeiten oder Versuchung bringen.»
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Die Regeln zum Fleischverzicht an Freitagen und speziell am Karfreitag wurden auch in der Katholischen Kirche offiziell etwas gelockert, 1967 durch Papst Paul VI. Meine eigenen Erfahrungen mit radikalem Fasten möchte ich keinesfalls missen. Beeindruckt war ich jeweils, wie sich meine Körpersinne dadurch schärften. Auch genoss ich die gewonnene Freiheit, nicht ständig an die nächste Mahlzeit und deren Vor- und Zubereitung denken zu müssen. Das war sehr entlastend. Am schönsten fand ich Fasten mit einem Freund und in Gruppen. So gesehen würde ich wieder fasten, wenn ich mich zum Beispiel für eine gewisse Zeit in ein Kloster zum Gebet zurückzöge und es dort dazugehörte.
WK: Neulich bin ich über das Karfreitags-Ei gestossen. Es soll vor Unglück schützen. Auch in zwei Tagen, an Ostern, stehen Eier hoch im Kurs – sie werden versteckt, gesucht, gefunden und verzehrt. Welchen Zusammenhang hat das Ei mit der Auferstehung?
PH: In vielen Kulturen und Zivilisationen kommt das Welten-Ei (oder auch Weltei) als eine Art Anfang vor, währenddem das Universum oder ein Urwesen durch Schlüpfen aus dem Ei entsteht: «Einst gebar die germanische Göttin Ostara ['o:stara] das Weltenei. Sie wärmte es zwischen ihren Brüsten und liess es Äonen von Zeiten reifen. Als darin der erste Sprung sichtbar wurde, legte sie es behutsam in das grosse Dunkel. Das Ei zersprang, und die Welt wurde geboren. Aus dem Dotter entstand die Sonne; aus der Schale entstanden Himmel und Erde.»
Die religionsgeschichtliche Erklärung für das Christentum lautet: Ostern ist die christliche Entsprechung des Festes der germanischen Frühlingsgöttin Ostara. Sie wird auch Eostre oder Aurora genannt und ist eine Göttin, die für Wachstum steht sowie für Furchtbarkeit, auch für Morgenröte, Leichtigkeit und Auferstehung. Wenn ich das Ei symbolisch möglichst nah von der Jesusgeschichte her deuten möchte, dann sage ich: So wie neues Leben beim Schlüpfen des Kükens die Eierschale durchbricht, war das Felsengrab am Ostersonntag geöffnet.
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Fasten geht immer
Die grosse Fastenzeit ist zwar heute vorbei, ein ganz Grosser fängt aber trotzdem genau heute an abzunehmen. Der April-Vollmond – auch Oster-Vollmond oder «Pink Moon» genannt» – erschien dieses Jahr am Morgen von Gründonnerstag, also gestern am Tag des letzten Abendmahls. Der moderne Name «Pink Moon» bezieht sich übrigens auf die Blütezeit der Flammenblume im April, also auf den Anfang von etwas sehr Schönem.
Wie der April-Vollmond nach der Fastenzeit abnimmt, können auch Menschen erst jetzt, später oder irgendwann anfangen mit Fasten. Es existieren verschiedene Fastenformen, wenn es um die Ernährung und Gesundheit geht. Im Trend sind auch Fastenarten, welche die Treibhausgase reduzieren und das Klima schonen. In Zusammenarbeit mit dem Verein KlimaGlarus.ch ist letztes Jahr eine ganze Serie zum Klimafasten im Kulturblog entstanden.
Der gleiche Verein organisiert dieses Jahr eine Austellung mit dem Titel «Kunst und Konsum». Auch dort, im Güterschuppen Glarus, können Sie sich für Ihren individuellen Fastenanfang inspierieren lassen von einem künstlerischen Blick der jungen Glarner Generation auf das heutige Konsumverhalten und dessen Auswirkungen auf die Umwelt – vom 12. bis 29. Mai 2023 mit Kunstwerken von Schüler:innen der Oberstufe Glarus Süd und der Kantonsschule Glarus.
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Autor
Kulturblogger Glarus
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