Glarus
Klimadinner - Krimidinner: Mord am Amazonas
Im evangelisch-reformierten Kirchgemeindehaus in Glarus versammelte sich kürzlich eine 15-köpfige Runde, um bei einem veganen Dinner mehr über Klimagerechtigkeit zu lernen und dabei einen fiktiven – aber leider realistischen – Mordfall zu lösen.
Der Rückgang der bewaldeten Flächen, der Verlust der Biodiversität und fruchtbarem Boden schreitet voran, mit den bekannten globalen Folgen in Form einer beschleunigten Klimakrise. Dem Thema Klimagerechtigkeit hat sich deshalb die diesjährige ökumenische Fastenaktion (HEKS + Partner sein) angenommen. Nebst Spendensammlungen, Standaktionen, dem Fastenkalender und Aufklärungsarbeit wurde mit dem «Klimadinner» auch ein kreatives und unterhaltsames Tool bereitgestellt, um die Thematik zu beleuchten. Das beliebte Format «Krimidinner» stand dabei Pate, Jugendliche wären wohl die angepeilte Zielgruppe. In Glarus folgten am 20. März jedoch Erwachsene verschiedener Generationen der Einladung der evangelisch-reformierten Kirchgemeinde Glarus-Riedern. Aber ich denke, das Ganze wäre tatsächlich auch für die jüngere Generation interessant.
Gleich vorweg: Die Idee und Umsetzung haben mir sehr gefallen. Pfarrerin Dagmar Doll, welche den Abend organisierte, hat ein tolles mehrgängiges veganes Menü gekocht. Spotlight (siehe unten): Fleischkonsum, bzw. der Konsum tierischer Produkte, ist durch den hohen Futtermittelbedarf eine der Hauptursachen für Landverbrauch, Zerstörung von Ökosystemen und Ausstoss klimaschädlicher Gase.
Eröffnet wird mit einem hübsch dekorierten Apéro. Anfangs des Spiels werden Rollen verteilt: Bürgermeister:in, Moderator:in, Pfarrer:in, ferner die Vertreter eines Futtermittelkonzerns, der lokalen Bevölkerung sowie einer gemeinnützigen Organisation, welche sich für die Rechte der Bevölkerung einsetzt. Dazu noch zwei Polizistinnen. In einer öffentlichen Verhandlung soll darüber befunden werden, ob man der Verpachtung von 40.000 Hektaren Land an «best feed» zustimmt. Auch ein Journalist, der für kritische Recherchen bekannt ist, soll dabei sein, jedoch taucht er nicht auf: Später kommt die Nachricht, er sei erschossen worden. In vier Runden wird argumentiert, verdächtigt, kritisch nachgefragt und auch angeklagt. Die Bürgermeisterin will den Deal trotz allem unbedingt durchbringen, was Argwohn weckt.
Obwohl nur ein Spiel, legen sich die friedfertigen Mensch im Kirchgemeindehaus richtig ins Zeug. Vieles fühlt sich sehr authentisch an. Wie die Pfarrerin z.B. zweimal zum Gebet aufruft, einmal am Anfang beim Essen und dann später für die Seele des Verstorbenen. Wie die Polizistin mit finsterem Blick Alibis einfordert und sich Notizen macht. Wie die Bürgermeisterin scheinheilig jeden Klüngel mit den «best feed»-Leuten leugnet und diese sich, nicht minder scheinheilig, als Wohltäter für die Region darstellen. Ich bewundere jetzt nicht nur die Kochkunst von Dagmar Doll, sondern auch die Schauspielkunst der hier Versammelten. Ich selber habe mir als Vertreterin der NGO wohl eine zu bequeme Rolle ausgesucht, ich muss nur die Meinung vertreten, die ich sowieso habe. Mutiger wäre es gewesen mal in die Rolle der Bösen zu schlüpfen und zu erleben wie sich anfühlt. Bei der Schlussabstimmung, wo man nach eigener Meinung und nicht mehr nach Rolle entscheidet, zeigt sich nun aber, dass die Allermeisten von uns den Deal sowieso ablehnen. Spannend ist auch die Auflösung des Kriminalfalles. Da kommen die unterschiedlichsten Vorschläge zum Vorschein. Die «richtige» Lösung verrate ich an dieser Stelle natürlich nicht! Ich hoffe vielmehr, dass auch noch andere dieses Spiel entdecken und auch ausprobieren. (https://materialien.sehen-und-handeln.ch/spielerisch unter https://fastenaktion.ch/, dort weitere interessante Unterlagen)
Nebenher kann man einiges zum Thema lernen, etwa dass nur 3 % der globalen Soja-Produktion direkt der menschlichen Ernährung zugutekommen – der Rest wird zu Futtermitteln. Dabei könnte man beim 1:1 Verzehr von Soja neunmal so viele Nahrungskalorien erzeugen wie z.B. über Rindfleisch. Die Zeit drängt; 20 Prozent des ursprünglichen Amazonas-Regenwaldes gelten bereits als zerstört; Wissenschaftler bezeichnen einen Wert von 25 bis 40 Prozent zerstörter Fläche als «Point of no return»: Dann sei das Ökosystem derart gestört, dass der Amazonas seine Funktion als Klimaanlage der Erde verliere und sich langfristig in eine Steppe verwandele: Der Wasserkreislauf stockt, der Boden erodiert und verliert seine Fruchtbarkeit; auch eine Aufforstung gelingt nicht mehr.
Und leider verschwinden tatsächlich immer wieder Journalistinnen und Umweltaktivisten in Südamerika oder werden ermordet. 2022 etwa machte der Fall des britischen Reporters Dom Phillips und des Indigenenexperten Bruno Pereira Schlagzeilen, deren sterbliche Überreste im Amazonas-Gebiet entdeckt wurden. Machthaber kooperieren nicht selten mit Kriminellen und Konzernen, die für ihren eigenen Profit den Regenwald roden oder verbrennen. Oft sind es Firmen aus den reichen Ländern, leider auch der Schweiz, welche die Ausbeutung der ärmeren vorantreiben. Tragisch: Wir wissen das bereits seit Jahrzehnten – ich erinnere an die Filme «Dschungelburger»(1985) - «We feed the world» (2005) oder «Bottled life» (2012), die jeweils hohe Wellen geworfen haben. Sicher haben nicht wenige ihren Lebensstil daraufhin überdacht, aber wie weit reicht der Einzelfluss einzelner, oder einer Minderheit? Wann werden sie Mehrheit?
Swantje Kammerecker
Zum weiterlesen
https://fastenaktion.ch/
zu Klima und Ernährung
1)https://www.watson.ch/international/wissen/279155538-vegane-ernaehrung-so-viel-boden-wuerde-die-landwirtschaft-einsparen
Zum Thema Mord am Amazonas
3) https://www.srf.ch/audio/kontext/mord-im-amazonas?partId=10629121
4) https://volksgruppen.orf.at/diversitaet/stories/3210052/
Autor
Kulturblogger Glarus
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