Glarus
Mini-Kulturfestival im Volksgarten zum Thema Kommen und Gehen
Unter dem etwas geheimnisvollen Titel „Niemand war schon immer da“ veranstaltete das Theaterkollektiv StauRaum ein kreatives Mini-Festival für und mit Glarnerinnen und Glarner. Es ist das Vorprojekt für eine grössere Produktion – ein partizipatives Outdoortheater im 2025.
Mit dem Ende der Schulferien hat der Alltagstrott wieder ein Stück weit eingesetzt. Doch immer wieder hallen die inspirierenden Begegnungen der sonnigen Tage Ende Juli und Anfangs August nach, die ich auf der grünen Wiese im Volksgarten erleben durfte. Mitwirkend als lesende Autorin, als Zuhörerin, Beobachterin, im offenen Singen oder alleine im Schreibkiosk, und immer wieder ist der fruchtig-kühle Huustee dabei, der grosszüzig offeriert wird. „Graswurzelkultur“- so würde ich das niederschwellige und partizipative, schlichtweg einladende Mini-Festival „Niemand war schon immer da“ beschreiben: Witzig, geistreich, spielerisch ist der Zugang des Theaterkollektivs StauRaum zum Thema „Kommen, Gehen, Bleiben“ (klingt doch irgendwie schöner und viel weniger technisch als „Migration“, geht es doch um Menschen und nicht um Daten!). Das Team um Theaterpädagogin Conni Stüssi (keine Glarnerin trotz ihres Namens) hat schon im Vorfeld nach Glarner Kulturschaffenden Ausschau gehalten, die sich mit einer Lesung beteiligen. Ich durfte zusammen mit meiner Cello und Flöte spielenden Kollegin Catherine Fritsche die Familienlesung am Schluss übernehmen. Ein schlichtes Setting im Grünen unter einem bunten Dach, ein tolles kleines Publikum, das grad nach dem Schluss der Geschichte ans Erzählte anknüpfte und von eigenen Erlebnissen (hier ging es um Tiere) berichtete. Schnell war man miteinander verbunden und teilte ein Thema. Nebst einigen bekannten Gesichtern lernte ich auch neue kennen, interessante Gespräche entstanden. Ich traf frisch Zugezogene, Heimwegglarner und Menschen mit Fluchtgeschichte.
Die Lesung, welche Esther Koroma am Sonntag, 4. August hielt, thematisierte das Thema Flucht auf berührende Weise. Sie stammt selbst aus einer Familie mit vielfältigen aussereuropäischen Wurzeln. Zuerst las sie eigene Gedichte, dann Ausschnitte aus „Kleiner Bruder“ (Suhrkamp) von Ibrahima Balde/Amets Arzallus. Der Autor beschreibt darin in seiner ganz eigenen, eindrücklichen Sprache seine Flucht aus Guinea und die Suche nach dem Bruder, der sich auf Reise nach Europa machte. Hunger, Gewalt, Gefahren, Demütigungen auf der einen Seite – Hoffnung und liebevolle Verbundenheit auf der anderen… ein Stück Literatur, das nahegeht, auch Esther, die noch erwähnt, an diesem Tag sei der 30. Geburtstag des Autors.
Was würdest du auf eine Abschiedspostkarte schreiben, wenn du auswandern würdest? Stifte, Karten und eine Holzwand stehen ein Stück weiter bereit. Ein Gedankenexperiment, dem ich gerne folge (einige Karten hängen da schon). Ich bin zwar ja schon mal ausgewandert, vor 25 Jahren von Deutschland nach Glarus, aber das hat sich irgendwie so ergeben, kein bewusster Abschied. Ich schreibe meine Postkarte nun so, dass auch der innere Prozess der Emigration aufscheint. Manchmal sind diese beiden - das äussere und innere Kommen und Gehen – ja wie nicht im Einklang, nicht synchron. Es ist ein Glück, in solchen Phasen einen kreativen Ort zu finden. Bei mir waren es das Schreiben und die Musik, welche mich dann auch mit Begegnungen und Beziehungen beschenkten, so dass ich neue Wurzeln schlagen konnte. Menschen mit sprachlichen Hürden können von Angeboten zum künstlerischen Gestalten profitieren. Oder auch Theaterprojekte bereichern, wie das der fahrenden Kulturstifter von StauRaum: Was im Sommer 2024 im Volksgarten geschieht, ist das Vorspiel zu Grösserem. Im November beginnen die Proben für das Outdoortheater „Niemand war schon immer da“, das an verschiedenen Plätzen in Glarus spielen wird. In der „Inkubationsphase“ des kleinen Vorfestivals wurden bereits jede Menge Kontakte geknüpft und Ideen gesammelt. Das Team führt eine Mailing-Liste für Beteiligte und Interessierte, auf der Website (s.u.) kann man sich auch noch anmelden. Schliesslich ist die Aufführung mit Laien und Profis im Sommer 2025 geplant – man darf gespannt sein. Zum jetzigen Zeitpunkt schon zieht das Kreativteam um Conni Stüssi ein sehr positives Fazit: „Im Glarnerland ist ein toller Spirit zu spüren – eine Offenheit und ein Pioniergeist, der so vieles möglich macht. Du kannst dich mit einer Idee hierhin stellen und die Leute kommen, sie interessieren sich, sie probieren sich selber aus. Das haben wir an anderen Orten selten so erlebt.“ Vielleicht hat das ja auch damit zu tun, dass der Kanton Glarus zwar ländlich und etwas abgelegen, aber keineswegs provinziell ist. Denn das Kommen, Gehen und Bleiben, die jahrhundertelangen Verbindungen in die weite Welt da draussen – die waren immer ein Teil unserer Geschichte und Identität. https://www.niemandwarschonimmerda.com
PS. Wer übrigens noch die Geschichte nachlesen will, die ich im Volksgarten erzählt habe, findet sie unter www.kirchebote.ch "Charlie und das Wunder des Lebens". Die Zeichnung dazu hat Margrit Gnos gemacht. Sie handelt eher vom inneren Freiwerden und den Mut, die Welt zu entdecken. https://www.kirchenbote-online.ch/artikel/charlie-und-das-wunder-des-lebens/
Swantje Kammerecker
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Kulturblogger Glarus
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- Glarus
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