Screenshot 2024 07 13 031118diesbach banner
Screenshot 2024 07 13 031118diesbach banner
FotoKlöntalTriennale 2Aussenansicht
FotoKlöntalTriennale 2Aussenansicht
Screenshot 2024 07 08 190835triennale klöntal
Screenshot 2024 07 08 190835triennale klöntal

Glarus

Triennale Diesbach: In a State of Flow

Unter dem Titel „In a State of Flow“ findet die Klöntal Triennale im Leglerareal in Diesbach statt, eröffnet wird sie am 31. August. Bis zum 29. September sind die Arbeiten zum Thema "Im Flow-Zustand" jeweils an den Wochenenden zu sehen. Für eine spezielle Atmosphäre sorgt der Ausstellungsort:  Das Areal steht seit 20 Jahren leer und erzählt von der bewegten Geschichte der Glarner Textilindustrie.

Mitte des 19.Jahrhunderts wurde das Legler Areal von der Familie Legler gegründet, ein exemplarisches Beispiel für den Kanton Glarus. Das Areal war Zeitzeuge einer florierenden Weberei und Spinnerei, mit Kunden im In- und Ausland. Heute erzählt das Areal die Geschichte vom industriellen Fortschritt und Niedergang. Seit 2002 steht das Areal leer.  Bis vor kurzem existierten grosse Pläne von Investoren:innen für eine Umnutzung zu einer Oase für digitale Nomaden, als Co-Working und Co-Living Retreat. Die Gemeinde Diesbach und das Hochdruck-Wasserkraftwerk haben das Areal gekauft. Die Zukunft für eine Umnutzung ist offen.

Im September zieht die Triennale in das Areal ein und setzt künstlerische Akzente. Die Arbeiten der Kunstschaffenden beschäftigen sich mit der Vergangenheit und der Zukunft des Ortes. Das ist gut so, weil jede Zukunft auch eine Vergangenheit hat.  Die Kunstschaffenden denken über Geschichten der industriellen Kultur und die damaligen, globalen Geschäftstätigkeiten nach. Der globale Wandel und die Digitalisierung in der Wirtschaft, sowie künftige Modelle des gesellschaftlichen Zusammenlebens sind Ausgangspunkt für Überlegungen der Kunstschaffenden. In der Fertigungsindustrie kann allerdings beobachtet werden, dass rund 10 Prozent der Auslandproduktionen wieder in die Schweiz zurückgeholt worden sind und dass weitere 10 Prozent solche Schritte planen; vielleicht kann man schon vom Beginn einer „Glokalisierung“ sprechen.

Der „State of Flow“ ist ein Begriff aus der Glücksforschung und beschreibt einen mentalen, manchmal rauschhaften Zustand der Vertiefung und des Aufgehens in einer Tätigkeit. Die Kuratorinnen Sabine Rusterholz Petko und Séverine Fromaigeat schreiben: „Für uns als kuratorischer Leitfaden bedeutet Flow den Moment zu feiern, den Ort zu beleben und im Moment der Ausstellung etwas zu bewegen, Gedanken anzustossen und gleichzeitig im Zeitenfluss zu sein“.

Für einen kurzen Moment soll dem leeren Areal neues Leben eingehaucht werden. Künstlerische Interventionen beleben und bewegen das Areal und verleihen ihm neues Leben zwischen Vergangenheit und spekulativer Zukunft. Der Ort erlebt für eine kurze Zeit eine vielschichtige, temporäre Verwandlung, die zur Reflexion über die Zukunft, auch vor dem Hintergrund des Klimawandels, nach der industriellen Ära anregt. Das Fliessen des Wassers durch das Areal ist ein Motiv, welches früher die Generatoren für die Fabrik angetrieben hat.  Dies ist ein zentrales kuratorisches Motiv für die Ausstellung und das umfangreiche Performance-Programm, welches zu sehen sein wird.  Technologische Neuentwicklungen werden nicht ausgespart: Vom Wasser- zum Datenstrom, von der industriellen Akkordarbeit zu flexiblen Arbeitsformen oder von der Migration und dem Wandel von Infrastrukturen zu spekulativen Zukunftsideen.

Kunst vor Ort

An fünf Wochenenden sind die Künstler:innen  damit beschäftigt den Ort in einen belebten Zustand zu versetzten. Seit 1856 wurden in der Weberei und Spinnerei Textilien für internationale Märkte hergestellt. Legler belieferte die europäische Haute Couture mit bedruckten Stoffen und hatte in den siebziger Jahren mit der Produktion des Kunststoffs Denim das Monopol in der Jeans-Herstellung in Europa.

Die künstlerischen Positionen von AATB, Cloé Delarue, Hotmailhotnail, Joyfully Waiting, Margaretha Jüngling, Izidoria I LETHE, Julie Monot, Vitjitua Ndjiharine, Ernestyna Orlowska, The Performance Agency, Laure  Prouvost, Tabita Rezaire, Romy Nina Rüegger, Davide-Christelle Sanvee, Veronika Spierenburg und Raul Walch aktivieren das Areal mit ihren Interventionen und temporären Performances und schlagen neue Perspektiven für eine unbestimmte Zeit vor. Die Kunstschaffenden, geboren in den Jahren zwischen 1978 und 1993, gehören einer technikaffinen Generation an, wo sich Beruf und Privates mischt und die Kommunikation mobil und online stattfindet. Es sind vor allem Künstlerinnen, die das Areal bespielen. Mit Sound, Installation, Video, Skulptur und Performance, verwenden sie vielseitige Medien. Bei den Inhalten stechen Themen hervor wie der Kapitalismus mit seinen Machtstrukturen, die entfremdete Arbeit und die Rolle der Frauen im Arbeitsprozess, die ortsspezifische Textilindustrie mit einer bewegten Geschichte, die kulturellen Aspekte von der Architektur bis zu indigenen Völkern, die Integration und Migration und die Natur in der enschen leben oder ihre Zukunftsvorstellungen entwickeln.

AATB: Andrea Anner und Thibault Brevet, 1985 und 1988 geboren: Die Roboterhunde des Künstlerduos patroullieren in Industrien auf der ganzen Welt. Die lernenden Maschinen werden für sehr unterschiedliche Zwecke eingesetzt. Im Zentrum steht die Förderung der Effizienz als Wettbewerbsvorteil. An der Triennale eröffnen die Hunde einen flüchtigen Blick in eine spektakuläre Zukunft. Wo sind die Grenzen für lernende Maschinen? Im Glarnerland hat es in früheren Jahren eine automatisierte Spinnerei gegeben; heute Linthpark. Der Hund diente zur Überwachung des Areals.

Romy Nina Rüegger

Im Zentrum der 41-Jährigen steht die Geschichte der Arbeiterinnen in der weltweit erfolgreichen Textilproduktion. Eine raumgreifende Installation mit einer Video- und Soundarbeit konfrontiert und dokumentiert Geschichten, entlang der Wasserwege in Verbindung mit feministischen Hintergründen der Arbeiterschaft. Ein verschollenes Druckmotiv von 1836, ein türkisches Tuch aus dem Wirtschaftsarchiv, wird zum Ausgangspunkt der Recherche der frühindustriellen Textilproduktion.

 Aus dem Archiv des Autors: Weberei und Zettlerei, Oberurnen, um 1900

Chloé Delarue 

Die Künstlerin, 1986 geboren, beobachtet die Produktionsmechanismen im Zeitalter des computergestützten Denkens.  Die Arbeiten erzählen von der Entfremdung der Arbeit zwischen Menschen und Maschine. Das Werk „TAFFAA-SIGNAL (II)“ ist eine Neonskulptur, die als Leuchtojekt aus einer anderen Zeit zu stammen scheint. Die Arbeit wirkt wie ein Marker, der dem analogen Zeitalter verpflichtet ist. Das Motiv wird in eine andere Körperlichkeit und Zeitlichkeit transportiert und lädt dazu ein über die Bedingungen des ehemaligen Produktionsareals nachzudenken.

Tabite Rezaire 

Die 35-jährige Künstlerin versteht sich als Heilerin. Die Kunst wird als Mittel genutzt, um Verbindungen zwischen organischen, elektronischen, spirituellen und wissenschaftlichen Phänomenen aufzuspüren.  Sie zeigt die seit der Kolonialzeit existierenden Missstände auf, die bis heute die Körper-Geist-Seele Trilogie unserer Gesellschaften in ein Ungleichgewicht versetzen. Die Künstlerin schlägt Heilungsrituale vor, die in der Industrialisierung des globalen Kapitalismus wirksam werden könnten; beispielsweise ein harmonisches Verhältnis zur Natur und ihren Ressourcen.

Aus der Sicht des Bloggers sind Arbeiten zu sehen, die sich kritisch mit unserer und der vergangenen Zeit auseinandersetzten. Man profitiert von den gezeigten Werken dann, wenn man sich mit den Texten zu den Arbeiten befasst. In der aktuellen Zeit der gesellschaftlich-wirtschaftlichen Entwicklungen sind nach wie vor Zeit, Kosten und Qualität von grösster Bedeutung. Die Entwicklungen der künstlichen Intelligenz werden bei diesen Themen weitere, einschneidende Akzente setzen.  

Texte von verschiedenen Autoren:innen zum „Flow“

Als Ergänzung des Programms haben verschiedene Autorinnen und Autoren zu Themen, die zum „Flow“ passen, einen Artikel geschrieben. Die Beiträge werden laufend ergänzt und finden sich unter:

https://www.kloentaltriennale.ch/hinterland/dev/

Boris Previsic setzt sich mit „Biodivers postindustriellen“ Landschaften auseinander. Der Autor publizierte bisher zum Verhältnis zwischen Musik und Literatur und den postjugoslawischen Kriegen der 1990-er Jahre. Er hat eine Förderungsprofessur an der Universität Luzern. Daneben ist er Gründungsdirektor des Urner Instituts „Kulturen der Alpen“ in Altdorf und hat zum Alpenraum und zur Vorstellbarkeit des Klimakollapses publiziert.

„Mit beinahe vierzig Kleinwasserkraftwerken zwischen Linthal beziehungsweise Elm und Ziegelbrücke bildet sich im Kanton Glarus eine einmalige und historisch gewachsene Energielandschaft, die bis in die Textilindustrie des 19-ten Jahrhunderts zurückreicht“.

„…hier konnte man die Linth einfach kanalisieren und abzweigen und so schon bald einmal in Elektrizität umwandeln. Das Kraftwerk auf dem Legler Areal war typisch dafür“.

„Spätestens wenn man verschwitzt auf der Muttseehütte ankommt, beginnt man die Dimensionen des Pumpspeicherwerks Limmern zu erahnen“.

„Man entwickelte eine Vision, um die wetterabhängigen Produktionsschwankungen aufzufangen und das Versorgungsnetz bis nach Süddeutschland zu stabilisieren“.

„Sie – die Gesamtenergiemenge – wird aber zu gross, wenn wir Energielandschaften nicht neu denken, die den Ersatz der fossilen Energieträger voll einpreisen.“

„So übernimmt das Gesamtkraftwerk Limmern nicht nur die Rolle der Netzstabilisierung und der kurzfristigen Energiespeicherung, sondern auch der Winterstromproduktion“.

„Energielandschaften sind kulturelle Produkte, die im Vorlauf zu den neuen Energieformen ihren eigenen Diskurs ausbilden. So wie die Seen der Wasserkraft noch an romantische Gemälde erinnern, so werden sich Wind und Sonne nicht nur mit Alpwirtschaft und Tourismus verbinden, sondern auch Sinnbild für eine neue, dekarbonisierte Welt sein“.

„Wenn Erholungssuchende aus Zürich im Kanton Glarus auf eine neue Kulturlandschaft treffen werden, welche effizienter und zugleich biodiverser ist, wissen sie: Hier wird unser Energiebedarf wirklich nachhaltig gedeckt. Und in Zukunft wird man dieses Zeugnis der Energiewende als Paradigmawechsel von einem unbedachten hin zu einem bewussten Anthropozän zu deuten wissen“.

Eduard Hauser

Siehe auch: www.glarneragenda.ch unter Kulturblog den Beitrag „Fantastische Jahre in der Seidendruckerei Mitlödi“ vom 21.11.2023

.

 

 

Autor

Kulturblogger Glarus

Contact

Hauser Eduard
Blogger
Biäschenstrasse 10
8872 Weesen
hauser.eduard@gmail.com
079 375 81 99

Category

  • Glarus

Published on

14.08.2024

Webcode

www.glarneragenda.ch/Pq9mGC