Glaris
Jürgen Zumbrunnen - der Künstler mit Hut: Werkschau im Güterschuppen Glarus
"Gestatten, mein Name ist Zumbrunnen Jürgen": So heisst die grosse Werkschau, die noch bis zum 15. September im Güterschuppen Glarus zu sehen ist. Die Leihgeber Martin Brunner, Sammlung Graber, fabbrica culturale baviera, Glarner Kunstverein mit Schenkungen von Jutta und Hans Mühlemann, machen die eindrückliche Werkschau möglich. Am 13. September wird der Film „Der blaue Ritter“ gezeigt, verbunden mit einer Gesprächsrunde.
Im Glarner Hinterland hat sich in den 1980-er Jahren eine eigenständige Kulturszene entwickelt. Massgebend beteiligt waren Jürgen Zumbrunnen und Werner Wiedenmeier (Quelle: Claudia Kock Marti, „Planen kann man das nicht“, context: www.kloentaltriennale.ch).
Rund um den Schriftsteller Werner Wiedenmeier und den Künstler Jürgen Zumbrunnen hat sich in wenigen Jahren eine Art Kolonie aus Kunstschaffenden entwickelt. Die Glarner Künstlerin Elsbeth Kuchen berichtet zum Beispiel über den damaligen „Palais Jaune“, im ehemaligen Legler-Bürogebäude in Diesbach, über die lebendige Kulturszene, die Kulturschaffende aus Nah und Fern ins Glarner Hinterland gezogen hat.
Geigenbauer, Batikmaler, Gold- und Kunstschmiede oder Kunstschaffende haben an ihren Werken gearbeitet. Die entstandene Kultur- und Kunstszene hat in den 1980-er Jahren, in der von Abwanderung gekennzeichneten Region, sogar schweizweit zu reden gegeben. Es sind zwei Welten entstanden und aufeinandergetroffen: „Die Welt der ländlichen Bevölkerung“, von Fabrikarbeit und Landwirtschaft betroffen und „die Welt der Zu- und Weltgewanderten“, die ihre bescheidenen Einkommen als Marktfahrer, Kunsthandwerker, Schriftsteller oder Kunstschaffende bestritten haben.
Ostdeutsche Wurzeln, Richterswil und Davos
Jürgen Zumbrunnen und Werner Wiedenmeier waren eng befreundet und philosophierten intensiv über Gott und die Welt. Die Orientierung am Existenzialismus ist im Zentrum gestanden. Zumbrunnen mit ostdeutschen Wurzeln, in Richterswil und Davos aufgewachsen, hat die Kunstgewerbeschule Zürich besucht und eine Grafiklehre absolviert. Ab 1968 hat er als freischaffender Künstler gearbeitet. Nach einem Aufenthalt in New York lebte Zumbrunnen zwischen 1981 und 1993 zu einem Drittel in Berlin und zwei Dritteln in Diesbach. Ins Glarnerland hat es ihn vor allem wegen der leerstehenden, günstigen Fabrikräume gezogen. Das Kunsthaus Glarus hat 1984 und 1990 seine Werke gezeigt. 1993 zog der Künstler vollends nach Berlin und fand mit seinen rätselhaften und symbolischen Arbeiten Anklang. 2016 ist Jürgen Zumbrunnen in Affoltern am Albis verstorben. Er hinterlässt ein umfangreiches Werk, welches aktuell im Güterschuppen zu sehen ist.
Die Überzeugung von Jürgen Zumbrunnen
Der Künstler gilt als „Existenzialist“. Er hat sich mit Philosophen wie Friedrich Nietzsche, Jean-Paul Sartre oder Simone de Beauvoir auseinandergesetzt. Bei der Musik fühlte er sich stark von Gustav Mahler angezogen.
Nietzsche gilt als einflussreicher Philosoph, der sich mit dem Leben auseinandersetzt und Kritik an der Moral, der christlichen Religion und Formen der Kunst und Wissenschaft geübt hat. Für einen kritischen Künstler wie Jürgen Zumbrunnen eine wichtige gedankliche Quelle. Die Musik von Mahler, ein Komponist der Spätromantik am Übergang zur Moderne, hat er aufgenommen. Der Komponist bricht bei seiner Musik mit Konventionen und kann, als innovativer Tondichter bezeichnet werden. Seine Kompositionen sind klanglich ungewöhnlich und mit dem Einsatz von ungewöhnlichen Instrumenten durchsetzt. Aus diesen Klangfarben sind extreme Effekte entstanden. Er hat sich nicht gescheut auf „niedere Musik“ zurückzugreifen. Daraus sind fragmentarisch zersplitterte Züge in der Komposition entstanden. Er war seiner Zeit weit voraus und hat die Schrecken der Zukunft vorausgeahnt.
Beim Werk Nitzsches gibt es eine direkte Verbindung zum Komponisten Gustav Mahler. Es geht um das Werk „Also sprach Zarathustra“, der Prophet, der vom Berg herabstieg und Gedanken zur Existenz aufgearbeitet hat. Im Zentrum standen dabei die Themen „Übermenschen, der Wille zur Macht und die ewige Zukunft“. Die Über-Menschen sollen ihre eigenen Lebensziele verfolgen und mit althergebrachten Konventionen brechen. Auch hier eine direkte Verbindung zur Kunst von Jürgen Zumbrunnen.
Der Existenzialismus von Jean-Paul Sartre und seiner Lebenspartnerin Simone de Beauvoir gibt der gelebten Existenz den Vorrang. Menschen sollen ihr Leben selbständig gestalten und nach der persönlichen Sinngebung aktiv suchen. Jeder ist verantwortlich für das, was er ist. Themen wie Angst, Tod, Freiheit und Handeln sowie Fremdheit sind zentral. Bei Simone de Beauvoir steht das andere Geschlecht, also die Frau, im Zentrum. Ihr Buch „Das andere Geschlecht“ ist für die nachfolgende Frauenbewegung die Bibel geworden. Die Menschen sind in eine Welt ohne Sinn geworfen und müssen in der eigenen Welt ihre Sinnbestimmung erkennen, weil sie zur Freiheit verdammt sind. Auch im Existenzialismus gibt es starke Verbindungen zu den Arbeiten von Jürgen Zumbrunnen.
Erinnerungen an Jürgen Zumbrunnen Aus "Jürgens Leben – Erinnerungen und Betrachtungen" von Martin Brunner
Zumbrunnen: “Ich bezeichne mich als Chronist meines Lebens. Ich arbeite immer mit dem Blick auf das, was ich die Welt nenne, wie ich die Welt sehe. Meine Themen sind immer ambivalent, doppelbödig. Meine Bilder sind künstlich, sind gemacht, das sind keine Abbilder, ich male nichts ab, ich stelle mir die Dinge vor. Meine Bilder gibt es nirgends, aber im Grunde gibt es sie immer. Ich stelle Sachen wie ein Poet zusammen. Ich denke wie ein Symphoniker. Die leichten Bilder reden mit den schweren, die dunkeln mit den hellen“.
Martin Brunner hat Reminiszenzen, Erinnerungsbilder, zusammengetragen, die für Zumbrunnen charakteristisch sind:
- Seine Malerei war äusserst expressiv und explizit. In seinen Bildern war die Ambivalenz der Welt allgegenwärtig. Er thematisierte die ewigen Wahrheiten, das ewige Welttheater.
- Seine Themen zeugen von tiefer Einsicht und Beschäftigung mit der menschlichen Existenz. Er war ein passionierter Chronist der Mysterien des Lebens.
- Jürgen hat uns bewegt. Er konnte uns nicht egal sein. Mit seiner Kunst. Mit seinem wachen Geist und seinem Wissen. Mit seinem rastlosen Lebens- und Schaffenstrieb. Mit seinem umfassenden Anspruch.
- Sein Auftritt hat uns fasziniert – immer mit Hut. Er hatte eine Grandezza, die ganz seinem ausholenden Verständnis von Stil und Künstlerschaft entsprach.
- Jürgen war von den Abgründen und der dunklen Seite immer angezogen. Er hat uns in den Abgrund blicken lassen, ohne uns hineinzustossen.
- Für ihn gab es keine Halbheiten: Wenn ins Konzert, dann zu den Besten, etwa den Berliner Philharmoniker. Wenn ins Restaurant, dann am liebsten in die Kronenhalle oder in die Paris Bar, mit Austern und Bordeaux. Wenn es eine Frau war, dann eine Besondere, die Widerstände bot bei der Eroberung und später.
- Jürgen war immer jugendlich, begeisterungsfähig und geistig wie körperlich beweglich. Er konnte sehr rigoros sein und auch verletzen in seiner Direktheit. Umgekehrt war er selbst seelisch empfindlich. Er konnte verärgert oder gekränkt sein.
- Jürgen ist immer wieder an störenden Realitäten grandios gescheitert. Dazu gehörten der Kunstbetrieb, das Geld und die Frauen. Er hatte immer Menschen, die ihn auffingen. Insbesondere sein Schwager Hans und seine Schwester Jutta haben Jürgen immer über Wasser gehalten. Hans hat Jürgens Werk zusammengehalten und dokumentiert, in einem bewundernswerten Engagement.
Fazit
Die Werkschau zieht einem in Bann. Die Werke sprechen direkt an und lösen Erinnerungen und Gefühle aus, die alle Menschen kennen. Eine sehr stark männlich ausgeprägte Kunst, in unserer heutigen Zeit, wo es immer mehr männliche Frauen und weibliche Männer gibt. Als Mitjahrgänger und Blogger sind mir Erinnerungen aus den 1968-er Jahren aus dem Unbewussten hochgekommen. Eine spannungsgeladene Zeit mit einer Jugend, die zum Widerstand gegen das Konventionelle, die sozialen Normen und gegen Kriege, wie damals der Vietnamkrieg, aufgerufen hat. Beim näheren Betrachten der aktuellen geopolitischen Lage ein zeitnahes Dokument zu den aktuellen Spannungen und Unsicherheiten in unserer Welt. Eine Ausstellung, die unter die Haut geht und sich weit ab von Konventionen bewegt. Das ist sehr eindrücklich und bedeutet für mich, dass der Besuch dieser Ausstellung ein „Muss“ ist.
Eduard Hauser
Autor
Kulturblogger Glarus
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